An Mali sich die Zähne ausbeißen

22.01.2013
Antiimperialistische Koordination (AIK), Initiativ e.V. Duisburg
Der „Sozialist“ Hollande in den Fußstopfen von Sarkozy und Bush

Die Meinungsmache ist sich einig: „ein notwendiger Krieg gegen den islamistischen Terrorismus“. Doch hinter dem Schleier dieser vielfach akzeptierten Rechtfertigung scheinen deutlich die neokolonialen Interessen der ehemaligen Grande Nation durch. Doch wenn selbst die USA im Krieg für ihr Empire gescheitert sind, dann wird Paris die Selbständigkeitsbestrebungen seines Françafrique nicht niederbomben können – denn letztlich steht wie in der arabischen Welt eine Volksbewegung dahinter.

Azawad

Der europäische Kolonialismus hinterließ im Allgemeinen willkürliche Grenzen. Im Sahel ist das angesichts des Mosaiks von Ethnien, Nationalitäten und Religionen besonders dramatisch. Die zurückgelassenen neokolonialen Regime stützen sich entsprechend auf einige dieser Gruppen und schließen andere aus. Welche der Gruppen zum Zug kommen, kann auch wechseln – solange die Interessen Frankreichs gewahrt bleiben. Die Tuareg gehörten und gehören zu jenen Gruppen, die in vielen Staaten marginalisiert und benachteiligt sind. Ihre Bewegung hat eine längere Tradition und scheint grundsätzlich demokratisch, sozial und antikolonial. Gegen ihre Forderung nach Selbstbestimmung in einem Staat Azawad im Nordosten von Mali ist grundsätzlich nichts einzuwenden, zumal sie sich ja gegen französische Herrschaftsinteressen richtet.

Doch es gilt eine starke Einschränkung zu machen: Eine Reproduktion des Teile-und-Herrsche nur mit anderen Gemeinschaften bringt keinen Fortschritt. Das kann man an den Wechselfällen des Tschads beobachten. Der Fortschritt liegt in der Integration, der Fähigkeit zum Einschluss möglichst aller Gruppen. Auf dieser Basis wäre dann wieder eine Föderierung über den gesamten Sahel, der ja sozio-ökonomisch sehr stark verwoben ist, sinnvoll.

Wie sehr die Azawad-Bewegung diesem Ziel gerecht wird, vermögen wir nicht zu beurteilen.

Jihad

In der jüngeren Vergangenheit drängte ein neuer Spieler mit Gewalt auf die Bühne, nicht nur in Mali, sondern im gesamten Sahel – die Jihadisten. Dieses Phänomen hat vielleicht einen hausgemachten Anteil, aber in seiner Stärke ist es jedenfalls ohne die äußeren Faktoren nicht zu erklären. Die Kader scheinen aus dem algerischen Bürgerkrieg zu stammen. Obwohl keineswegs im Zentrum der arabischen Volksbewegung, konnten die Jihadisten doch an deren Rand mitnaschen. Ihre militärischen Fähigkeiten und finanziellen Mitteln, die sie am Golf einsammeln, machten sie zu einem potenten Spieler. Aus dem Bündnis mit der eher klassisch linksnationalistisch inspirierten Azawad-Bewegung gingen sie offenbar als Sieger hervor. Ein ganzer Flügel scheint zu den Jihadisten übergelaufen zu sein, so dass die Islamisten sich schließlich ihrer Partner entledigen konnten.

Der Salafismus war im Sahel bis vor kurzem noch unbekannt und erscheint wie ein Fremdkörper. Der lokale Islam trug stark sufistische Züge und basierte vielfach auf Heiligenverehrung, wie man es von den berühmten Grabdenkmälern aus Lehm in Timbukto kennt. Doch dies galt noch vor wenigen Jahrzehnten zumindest der Tendenz nach für die gesamte islamisch-arabische Welt mit Ausnahme Saudi-Arabiens. Doch die Kombination aus dem Bedürfnis nach einer antiwestlichen, identitären Mobilisierung, die Niederlage des Linksnationalismus und der UdSSR sowie die enormen materiellen Mitteln von den Öldiktaturen haben den Salafismus und Jihadismus zu einem realen Faktor gemacht. Es ist nicht auszuschließen oder sogar wahrscheinlich, dass sich dieser Trend auch im Sahel fortsetzt. Es gibt jedenfalls starke Anzeichen dafür.

Frankreich raus

Die Militärintervention Frankreichs gießt Öl ins Feuer des Jihadismus – völlig im Gegensatz zu den westlichen Behauptungen. Denn kämpfen und sterben können sie, die Gotteskrieger. Schon musste Paris eingestehen, dass es den Widerstand unterschätzt hätte. Den Jihadis wird nun eine ideale Bühne geboten, um ihren Einfluss auszudehnen. Denn entgegen der kurzsichtigen Jubelberichterstattung liebt niemand die französischen Soldatenstiefel, unter deren Aufsicht der Sahel bis zum heutigen Tag ausgebeutet wurde, aber keinerlei Entwicklung stattfand. (Gleich nebenan im Niger befindet sich die französische Uran-Versorgung, ebenfalls in einem von Tuareg mitbewohnten Gebiet – vielleicht ein weiterer Grund für das französische Eingreifen.)

Wie in vielen neokolonialen Konflikten der vergangenen Jahre dachten die westlichen Strategen, ihre Gegner in wenigen Tagen oder Wochen niederwerfen zu können. Meist wurden daraus Monate oder Jahre. Aus Afghanistan zieht sich die USA nach mehr als einem Jahrzehnt mit einer blutigen Nase schließlich zurück. Das wesentlich schwächere Frankreich kann den Konflikt in Mali nicht gewinnen.

Paris möchte möglichst viele seiner Verbündeten politisch wie militärisch involvieren. Derzeit sekundiert ihm die Journaille noch, auch die deutschsprachige, und die Staatskanzleien werden nachziehen. Denn es gelte ja das jüdisch-christliche Abendland gegen die islamischen Horden zu verteidigen … das übliche halt.

Gleichzeitig sieht es danach aus, dass die Jihadisten keinen weitreichenden Konsens in der Gesellschaft herzustellen vermögen, weder unter den Tuareg und schon gar nicht unter den südlichen Völkern, unter denen es auch Nichtmuslime gibt. Widerstand gegen den importieren Islamismus ist nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, auch wenn die materiellen Mittel dazu sehr bescheiden sind.

Der vollständige Abzug Frankreichs sowie der Kampf gegen dessen neokoloniales Abenteuer ist eine wichtige politische Voraussetzung im Kampf gegen den Import-Jihadismus (wenn er unter den Tuareg nicht schon gewisse Wurzeln geschlagen hat).

Der zweite wichtige Komplex ist die Gewährung des Selbstbestimmungsrechts für Azawad. Damit verlieren die Jihadisten im Süden jegliche Legitimation. Indem die Forderung der Tuareg und ihrer Verbündeten erfüllt wird, können die Salafisten auch im Norden politisch isoliert werden.

Verweise