Barghouti-Schauprozess für geschlossene Faschisten-Gesellschaft und scharontreue Medien

12.01.2003

Hans Lebrecht

Als der palästinensische Politiker und Friedensaktivist Marwan Barghouti am vorigen Donnerstag (3. Oktober) an Händen und Füßen gefesselt vor dem Eingang zum Bezirksgericht in Tel-Aviv von einem Polizei-Transporter herausgezerrt wurde, wurde er von einer Gruppe von herumbrüllenden Angehörigen von Opfern von Selbstmord-Bombenanschlägen heiß empfangen. Eine Frau rief ihm und den bereitgestellten Fernsehkameras entgegen "Tod, dir Mörder, du hast meinen Sohn umgebracht!" Im Gerichtsgebäude, vor dem Saal und darin ging die Fernseh-Tragikomödie weiter.
Der im besetzten Ramallah ansässige Barghouti, welcher bis vor einigen Monaten noch von Vielen als der zukünftige Nachfolger von Jasser Arafat angesehen wurde, ist kein unbeschriebenes Blatt. Wir trafen ihn des Öfteren bei allen möglichen gemeinsamen Treffen israelischer und palästinensischer Friedensaktivisten. Er ist, oder jetzt verhindert, war der Vorsitzende der von Arafat angeführten el-Fatah, der Mehrheitsorganisation der PLO im Westjordangebiet. Er spricht nicht nur seine arabische Muttersprache, sondern auch fließend Hebräisch, wie er es sich während seiner langjährigen Haftzeit in israelischen Kerkern in der Zeit der ersten Intifada vor zehn Jahren angeeignet hatte. Im April dieses Jahres wurde er von den israelischen Besatzern ohne Vorwarnung verhaftet und der "Anstiftung zu vielfachem Mord und "terroristischer Täterschaft" angeklagt. Er ist der erste "Angeklagte" dieser Art, der nicht, wie üblich von einem Besatzer-Militärtribunal abgefertigt wird, sondern vor einen zivilen Gerichtshof, nämlich dem Bezirksgerichtshof in Tel-Aviv. Es soll ein großaufgemachter Schauprozess und weltweites Fernsehspektakel werden, welches das, was man im Scharon-Sprachgebrauch "palästinensischer Kindermordterror gegen den unschuldigen demokratischen jüdischen Staat Israel und die Judenheit insgesamt" bezeichnet.
Vorigen Monat wurde im Tel-Aviver Gericht die lange, auf von den israelischen Geheimdiensten zusammengeschmiedeten Indizien aufgebaute Anklageschrift verlesen. Diese Indizien berufen sich auf Geheimakte der israelischen Sicherheitsdienste und zum Teil auf Dokumente, die angeblich bei der Besetzung von Ämtern der palästinensischen Verwaltung in Ramallah beschlagnahmt worden waren. Barghouti selbst, wie auch seine Verteidiger erklärten, das Gericht sei gar nicht zuständig. Es stehe im krassen Widerspruch zum internationalen Völkerrecht und der auch von Israel unterzeichneten Vierten Genfer Konvention zum Schutze der Zivilbevölkerung eines besetzten Gebietes. Es sei auch entsprechend den zwischen Israel und der PLO vereinbarten Abkommen unzulässig, Barghouti, einen legitim gewählten Parlamentarier (des palästinensischen Gesetzgebenden Rates) vor einen Gerichtshof zu zerren, der kein Recht dazu habe über in dem widerrechtlich besetzten Gebiet von Palästina ereigneten Vorkommnisse zu richten.
Barghouti, seine in Handschellen gefesselte Hände erhebend, rief seinen zusammengerotteten Angreifern zu: "Wir sind keine Mörder und Terroristen, wir sind Freiheitskämpfer gegen die israelische Besatzerherrschaft. Wir kämpfen für gerechten israelisch-palästinensischen Frieden ohne Besatzung, für unseren freien Palästinenserstaat, Seite an Seite mit Israel".
Bezeichnend für die Ereignisse an diesen Donnerstag im Bezirksgericht von Tel-Aviv war weniger die auf Fernsehschirmen auf der ganzen Welt gezeigten, von rechtsradikalen Elementen, mit Hilfe der zugegen gewesenen "Sicherheitsbeamten" inszenierte Fernsehschau im Gerichtssaal, sondern vielmehr das, was sich vor dem Gerichtssaal abspielte. Diese, am Donnerstag abgehaltene Gerichtskomödie war von der Staatsanwaltschaft lediglich zur Verlängerung der Untersuchungshaft von Barghouti bis zum Ende des Verfahrens angeordnet worden. Ohne Zögern gab das Gericht dem Antrag statt. Die Sitzung dauerte dementsprechend auch nur kurze Zeit, genügend um den Medien die Schau vorzuführen.
Mit Marwan Barghouti sympathisierende Friedensaktivisten, darunter eine Gruppe des Gusch-Schalom Friedensblocks, angeführt von Uri Avneri, und andere bekannte Persönlichkeiten des Friedenslagers, darunter auch zwei "linke" Knesseth-Abgeordnete, kamen als Erste schon zwei Stunden vor Beginn der Verhandlung zum Eingang des Gerichtssaals, um Plätze zu ergattern. Aber nach einer Beratung der Sicherheitsbeamten im geschlossenen Gerichtssaal, angeleitet von einem Sekretär des Ministerpräsidenten Scharon, wurden alle schon seit Stunden wartenden Besucher mit Gewalt zur Seite gedrängt. Einlass zum Gerichtssaal wurde ausschließlich nur einigen wenigen, vom Presseamt ausgewählten israelischen und ausländischen Presse-, Rundfunk- und Fernsehteams, sowie einer großen Anzahl der ausgesuchten Rechtsextremisten unter den "Hinterbliebenen der Terroropfer" gestattet. Bis die anderen Wartenden an die Reihe kamen, wurden die Pforten geschlossen und es wurde erklärt "Der Saal ist übervoll, kein Platz mehr".... Unter den Ausgeschlossenen waren auch einige der Hinterbliebenen, aber nur solche, welche sich ausdrücklich und öffentlich für Verhandlungen mit den Palästinensern einsetzen, um weitere Opfer des gegenseitigen Terrors zu verhindern und wohl deshalb nicht in der Liste der "Geladenen" verzeichnet waren.
Die sich so aufgebracht zeigenden, der vom Gesetz verbotenen, aber ganz offen und bewaffneteten KACH-Faschistenbanden nahestehenden "Hinterbliebenen" scheuten nicht, auch vor den verschlossenen Türen des Gerichtssaales Tumultszenen anzustiften, welche dann auch eifrig fürs Fernsehen gedreht wurden. Avneri bemerkte dazu treffend, man merke, dass der verdächtigte Kriegsverbrecher Scharon, entgegen aller Koalitionsabkommen letzthin den Vorsitz über die staatliche Rundfunk- und Fernseh-Gesellschaft usurpiert habe.
Auffällig und viel von den Medien erwähnt war das mutige Auftreten des jungen, jüdisch-orthodox gläubigen Rechtsanwaltes Schamai Leibowitz in der Reihe des Barghouti-Verteidiger-Teams. Dr. Leibowitz ist ein Enkel des bekannten verstorbenen Professor und Chefredakteur der Hebräischen Enzyklopädie Yeschaihahu Leibowitz, welcher noch im hohen Alter die israelische Besetzung der arabischen Gebiete und den aggressiven jüdischen Fundamentalismus heftig bekämpft hatte.
Sein Enkel Schamai verglich im Gerichtssaal den um die nationalen Rechte seines Volkes und für Frieden mit Israel auftretenden "Angklagten" Marwan Barghouti mit dem biblischen Moses. "Der Kampf der Palästinenser um Freiheit von fremder Okkupation und nationale Selbstbestimmung erinnert an das, was im zweiten Buch Moses, dem Exodus unserer Vorväter aus Ägypten erzählt wird", erklärte der junge orthodox-jüdische Anwalt. Es dürfte kaum verwunderlich sein, dass dieser daraufhin über das vergangene Wochenende schon unzählige Morddrohungen erhalten hat.
Der Vorsitzende des Verteidiger-Teams, der palästinensische Anwalt Jawad Boulus aus Ostjerusalem, erklärte nach der vor Barghouti-Freunden geschlossenen Verhandlung, dass mit Beginn der Hauptverhandlung in einigen Wochen die Verteidigung für die Nichtzuständigkeit des Tel-Aviver Gerichts plädieren werde. Außerdem würde Barghouti selbst und seine Verteidigung die aufgetrumpfte Anklage gegen ihn in einen Anklageprozess gegen das widerrechtliche und unmenschliche israelische Besatzerregime umwandeln. Barghouti würde am Ende als ein palästinensischer Nelson Mandela gefeiert werden. Mandela hätte doch bekanntlich auch hinter den Kerkermauern des Apartheidregimes geschmachtet, bevor er Präsident des vom diesem Unterdrückungsregime befreiten Südafrikanischen Staates gewählt worden war, bemerkte Rechtsanwalt Boulus.

Hans Lebrecht
6. Oktober 2002