Internationales Bürgertribunal zum Libanon

14.04.2008

Übersetzung der Urteilsschrift vom 3. März 2008

Urteil

Verfahren gegen die israelischen Autoritäten wegen den durch sie vollbrachten Handlungen und den durch sie verursachten Schäden der libanesischen Nation; eingeleitet von den Opfern des Krieges vom 12. Juli bis 24. August 2006 mit Unterstützung der libanesischen Zivilgesellschaft

Brüssel, 22-24. Februar 2008
International Associations Center

Richterjury:
Lilia Solano (Präsidentin), Adolfo Abascal, Claudio Moffa (Protokollführer), Rajindar Sachar.

Rechtskräftiger Urteilspruch:

Angesichts dessen, dass

- die Opfer und die libanesische Zivilgesellschaft, durch ihre Organisationen und Vertreter, eine internationale Richterjury benannt hat um als von jeglichem Staate unabhängiges Gericht zu agieren, um über die Handlungen, welche von Israel während dem Juli-August Krieg 2006 gesetzt worden sind, zu befinden, gemäß des Internationalen Rechts, im Besonderen der Charta der Vereinten Nationen, den vier Genfer Konventionen von 1949 und dem Statut des Internationalen Gerichtshofes von 1998;

- die libanesische Zivilgesellschaft und die Opfer des Krieges ebenso Anwälte für ihre Vertretung benannt haben: Issam Naaman, Albert Fahrat, Hassan Jouny, Mohammed Tay, und gleichzeitig eine formale Aufforderung an Israel, die beschuldigte Partei, schickten, einen Verteidiger für sich zu benennen;

- vom 22.-24. Februar 2008 die Richterjury, das heißt Lilia Solano (Kolumbien), Adolfo Abascal (Kuba), Claudio Moffa (Italien) and Rajindar Sachar (Indien), zusammenkam und in einem ersten Schritt ihre Befugnis etablierten, was Ratione Materiae, Loci und Temporis anging: Materie waren die Taten, welche von der israelischen Armee während des Krieges gegen den Libanon begangen worden waren; Loci war das libanesische Territorium, welches durch die israelische Armee bombardiert bzw. besetzt wurde und Temporis war die Zeitspanne vom 12. Juli 2006 bis zum 24. August 2006, dem Enddatum der Aggression, in dessen Rahmen auf die begangenen Handlungen Bezug genommen wurde; unmittelbar danach trat die Jury zusammen und bestimmte Prof. Lilia Solano zu ihrer Präsidentin.

- am Freitag, den 22. Februar um 9 Uhr Früh die Jury den Prozess eröffnete, indem sie den involvierten Parteien die juristische Kompetenz und die ethischen Ziele dessen darbrachten, was von nun an das Internationale Bürgertribunal ausmachen wird;

- am Samstag, den 23. Februar, die Jury:

- in ihrem ersten Akt das Fehlen sowohl der Vertreter Israels als auch seiner Verteidiger festhielt;

- die Anklagepunkte gegen die Beschuldigten anhörte, vorgebracht von den Anwälten der Opfer und der libanesischen Zivilgesellschaft, indem das Vorbringen eines Textes akzeptiert wurde, welcher die gegen die israelischen Autoritäten die Anklagepunkte Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Inhalt hatte;

- am Sonntag, dem 24. Februar, die Jury die letzten Zeugen und Experten anhörte, nach dem gleichen Procedere wie am Vortag, und die Verhandlung um 13 Uhr beendete.

In Betrachtung der

1. FAKTEN

Am 12. Juli 2006 marschierte die israelische Armee in den Libanon ein, indem sie die "Blaue Linie" überquerte, welche 1982 durch die UNIFIL geschaffen worden war, um das Territorium unter der Jurisdiktion der Regierung in Beirut und jenen Territorien, welche von Israel in der Invasion in diesem Jahr (1982) besetzt worden waren, zu markieren;

Die israelischen Autoritäten rechtfertigten ihre Aggression als Vergeltungsmaßnahme für die Gefangennahme zweier israelischer Soldaten, welche durch irreguläre libanesische Kräfte durchgeführt worden war, in Territorien, welche von ihnen kontrolliert wurden. Diese irregulären libanesischen Kräfte operierten seit langem im Süden des Landes, jenseits der Blauen Linie, um die volle Souveränität des Libanon und seiner noch immer besetzten Territorien wiederherzustellen.

Die Vergeltungsmaßnahme nahm rasch die Form einer Landnahme seitens der israelischen Armee an, um dann, nachdem die libanesischen irregulären bewaffneten Kräfte, welche nahe der Grenze operierten, heftig Widerstand leisteten, die Form einer Aggression von großem Umfang anzunehmen, durch Bombardierungen aus der Luft, nicht nur der Grenzgebiete im Süden sondern selbst des Bekaa Tales und der am dichtesten besiedelten Bezirken Beiruts.

Die Zeugenaussagen und die Dokumentationen, die während den Anhörungen gesammelt wurden, bestätigen, was bereits von der UN-Untersuchungskommission vom November 2006 festgestellt worden ist, nämlich dass während des Kriegs, welcher vom 12. Juli 2006 bis 24. August 2006 stattfand, die israelischen Invasionskräfte:

- nahezu 7000 Luftangriffe gegen ein Territorium flogen, welches - abgesehen von einigen Flugzeugen und einer kleinen Hubschrauber-Flotte - im Grunde bar jeglicher Luftverteidigung war;
- mehr als 1100 Menschen tötete, darunter viele Kinder, Frauen und alte Männer;
- die meiste Infrastruktur des Landes bombardierte, mit einer Gesetzmäßigkeit, welche keinen Zweifel an dem Vorsätzlichkeit der Angriffe lässt. Zu der Infrastruktur gehörten Straßen, Brücken, Flughäfen, Trinkwasserspeicher, Kraftwerke, Benzinlager sowie Land für Ackerbau und Viehhaltung;
- zivile Wohnhäuser, Spitäler und zivile Autokolonnen, verursacht durch Flüchtlinge bombardierten, mit dem klaren Ziel die höchstmögliche Anzahl an Zivilisten zu töten;
- Museen, religiöse Stätten und religiöse Zeremonien, inklusive einer Begräbnisprozession bombardierten;
- Kleine Supermärkte in kleinen Dörfern bombardierten;
- Dörfer und Bezirke ohne militärische Verteidigung angriffen und Akte der kollektiven Bestrafung und Vergeltung gegen die Zivilisten der besetzten Zone verübten;
- libanesisches medizinisches und Gesundheitspersonal angriffen, während dieses Personal der Zivilbevölkerung half;
- verbotene Waffen während dieser Bombardierungen verwendeten, um sofortigen oder verzögerten Schaden an der Zivilbevölkerung anzurichten, auch an Kindern: Clusterbomben, Bomben mit Helium, Toy-Bombs, laut einer Zeugenaussage auch Bomben mit abgereichertem Uran. Über diese letztgenannte Art der Bomben gehen die Meinungen der Experten auseinander, da die Untersuchungen mit dem Geigerzähler, die von dem Zeugen und seinem Team von Technikern durchgeführt wurden, weder von der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen im September/Oktober 2006 vorgenommen worden waren - welche jedoch alle anderen Bombentypen untersucht hatte - noch von der Untersuchung, welche gleichzeitig von der Vereinigung Amerikanischer Juristen durchgeführt worden war;

Alle oben aufgeführten Handlungen sprechen aufgrund ihrer Ordnung, Gleichmäßigkeit und Kontinuität dafür, dass die Zivilbevölkerung das Hauptziel, wenn nicht sogar das ausschließliche Ziel der israelischen Angriffe war.

Zeugenaussagen und die Dokumente, welche während der Verhandlung gemacht und gesammelt wurden, konnten ebenfalls das ungefähre, aber in allen Fällen erhebliche Ausmaß der Schäden - sowohl solche, die sofort eintraten, als auch solche, welche mit einiger Zeitverzögerung in Erscheinung traten - von menschlicher, wirtschaftlicher, psychologischer Natur und Umweltschäden, welche das libanesische Volk aufgrund der israelischen Kriegshandlungen davontrug, aufzeigen.

A) Menschliche Schäden: OMISSIS [Details nicht aufgeführt um Kürze zu bewahren--tr]

B) Psychologische Schäden: OMISSIS

C) Wirtschaftliche Schäden: OMISSIS

D) Soziale Schäden

Die wirtschaftlichen Schäden haben ihrerseits eine soziale Krise verursacht, welche sich in der extremen Verwundbarkeit der Mittelschicht und der Verarmung der bereits benachteiligten Schichten der Gesellschaft ausdrückt. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 15%, im Vergleich zu 8% im Jahre 2004, die Inflation hat sich vervierfacht.

E) Umweltschäden

Der wichtigste Schaden der Umwelt wurde durch die Bombardierung des zentralen Kraftwerks in Jiyeh (Beirut) verursacht, wodurch 15 000 Tonnen Öl in das Mittelmeer gelangten, und einen 14km langen und 1.5km breiten Ölteppich verursachten, mit ernsten Schäden für die Meereslebewesen und die Fischerei. Zusätzlich kann erwartet werden, dass dieses Ereignis auch die menschliche Gesundheit schädigen wird (dermatologische Probleme, Krebs, Lungenkrankheiten).

2. RECHTLICHEN GRUNDLAGEN

Anlässlich des Startens des israelischen Angriffes und dessen angeblichen Rechtfertigungen seitens der Regierung in Tel-Aviv hält die Jury die folgenden drei Betrachtungen als Beleg im Sinne der Definition des Angriffes als eine ungerechtfertigte und illegale Aggression fest:
1) Die "Blaue Linie" gilt nicht als eine international anerkannte Grenze zwischen Libanon und Israel, sondern wird einfach als eine von der UNIFIL gezogene Grenzlinie betrachtet, die von der libanesischen Autorität bestritten wurde: Man sollte bezüglich dieses Themas darauf hinweisen dass die israelische Armee zur Zeit der Invasion die als Schebaa Farmen bekannte libanesische Zone besetzte.

2) Die Genfer Konvention über die Behandlung der Kriegsgefangenen stellte in ihrem Artikel 4 ordnungswidrige Gruppen (z.B. nationale Befreiungsbewegungen) unter internationalem Schutz. Dieser Schutz bleibt gültig, sei es dass die Gruppen ihre Handlungen innerhalb ihrer Gebiete durchführen oder diese in den Gebieten der Besatzungstruppen stattfinden. Es wird damit angedeutet, dass ihr Handlungsbereich bis zu allen Territorien des Feindes ausgebreitet werden kann.

3) Außerdem erlauben diese Klauseln jeder Widerstandsbewegung, ihre Handlungen in Zonen durchführen, die nicht zu dem Territorium des Besatzers gehören, aber auch in Zonen eines Dritten, sofern die betroffenen Zonen unter dessen Kontrolle sind.

Das heißt, dass außer der deutlichen Unverhältnismäßigkeit zwischen der Gefangennahme und Entführung der beiden Soldaten und der Reaktion, die in den katastrophalen Handlungen der schon erwähnten israelischen Vergeltungsmaßnahmen konkretisiert wurde, die Invasion am 12. Juli 2006 keine Rechtfertigung oder Legitimität im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen und der internationalen Genfer Konvention hatte. Im Gegenteil, es stellt einen Bruch des internationalen Rechts dar. Eines der zahlreichen Beispiele dessen, was vom israelischen Staat von 1948 bis heute wiederholt wird, wie es von all den UN Resolutionen, die von Israel ignoriert wurden, gezeigt wird:

B) Die Handlungen der israelischen Armee während der Ereignisse des Krieges wie sie während der Verhandlung bestätigt wurden, gelten klar als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und stellen Kriegsverbrechen dar, die gegen die Genfer Konventionen von 1949 verstoßen, das Statut des internationalen Strafgerichthofes von 1998 und gegen das Protokoll A von 1977.

Insbesondere wurde deutlich, dass diese Handlungen als umfassender und zielbewusster Angriff auf die Zivilbevölkerung gelten, wie es in Art 7 des Statuts des internationalem Strafgerichthofes (Verbrechen gegen die Menschlichkeit) definiert wird, und genauer in der Nummer 1, Punkte a, b, c, d und e. (letztere beide beziehen sich erstens gegen das Zwingen der Bevölkerung zu fliehen und zweitens die Angriffe auf zivile Autokolonnen, mit dem diese Flucht durchgeführt wurde.)

Es ist auch offensichtlich, dass diese Handlungen gegen Art 8 des gleichen Statutes - Def. Kriegsverbrechen - und der Genfer Konventionen verstoßen, da sie:

- mit Absicht großes Leid und ernste Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit verursachten. (Nummer 2, a, iii)

- großflächigen Schaden verursachten und Besitznahme von Eigentum ergriffen, wie es für das Militär nicht notwendig ist und unrechtmäßig und mutwillig ergriffen wurde (2,a,iv);

- mit Absicht Angriffe auf die Zivilbevölkerung durchgeführt wurden oder Angriffe auf einzelne Personen, die nicht direkt an den Kampfhandlungen beteiligt waren. (2, b, i);

- mit Absicht zivile Objekte angriffen, das heißt Objekte, die nicht militärbezogen sind (2,b,ii);

- mit Absicht Angriffe auf Personal, Einrichtungen, Materialien, Autokolonnen durchführten, die an humanitärer Hilfe beteiligt sind (2,b,iii);

- mit Absicht angreifen, mit dem Wissen dass dieser Angriff einen Lebensverlust eines Zivilisten oder Zivilobjektes verursachen könnte, oder das Verbreiten von langfristigen und ernsten Schäden in Natur und Umwelt (2,b,iv);

- Dörfer, Wohnhäuser und Gebäuden die nicht militärisch verteidigt und keine militärischen Objekte sind, bombardieren (2,b,v);

- mit Absicht Angriffe fliegen auf Gebäuden die für Religion, Bildung, Kunst, Naturwissenschaften, historische Monumente, als Spitäler… verwendet werden (2,b,ix);

- Kugeln, die sich im menschlichen Körper rasch verbreiten, verwendeten (2,b,d,e,xix), oder Waffen, Projektile, Materialien verwendeten, die unnötiges Leid verursachen oder die mit Sicherheit in ihrer Wirkung gegen das internationale Gesetz verstoßen.

- durch Flugzeuge Aufrufe unter der Zivilbevölkerung verbreiten mit der Drohung, dass falls sie ihre Wohnhäuser und Wohnorte nicht verlassen, sie ohne Unterschied bombardiert werden würden - folglich also mit kollektiver Bestrafung drohen. (2,b,xii und Protokoll a von 1977)

C) die Handlungen der israelischen Armee während des Kriegs von 12. Juli 2006 bis 24. August 2006, wie jene, die in den oben schon erwähnten Diskussionen bestätigt wurden, gelten als deutlicher Verstoß gegen Art 6 des Internationalen Strafgerichtshofes (Völkermord) und Art 2 der Konvention von 1948 für die Verhinderung und das Verbot des Völkermordes. Es ist nicht legitim, sich von der Bedeutsamkeit der Beschuldigung einschüchtern zu lassen, da die entscheidenden Beweise vorhanden sind.

Die wesentlichen Belege dafür, dass Israel nicht nur wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig ist, sondern auch, in Bezug auf den Krieg im Libanon von 2006, wegen Völkermordes, sind die folgenden:

1) Die rechtliche Definition dieses Verbrechens sind u.a. dem Statut des Internationalem Gerichtshofes, der Genfer Konvention und dem Nürnberger Tribunal entnommen: Tatsächlich wird in Art 6 des Statutes festgelegt, dass eine Serie von typischen Handlungen während eines Krieges, die Mitglieder einer Gruppe töten oder ernste Wunden der körperlichen oder psychischen Unversehrtheit von Menschen dieser Gruppe verursachen, zum Bestandteil eines Völkermordes werden, wenn sie gezielt eine gesamte oder einen Teil einer nationalen, ethnischen oder religiösen Gruppe vernichten sollen.

2) Im aktuellen Fall des israelischen Krieges gegen den Libanon von 2006 wurde die Absicht Israels, bewusst Teile der libanesischen Bevölkerung zu vernichten, durch Zeugenaussagen und eine Vielzahl an Dokumenten und vorgebrachten Beweise überdeutlich belegt. Und das in einer Zeit, in der man eigentlich rasch des Völkermordes angeklagt wird, nicht nur von den Medien, sondern auch von den oben erwähnten Institutionen, z.B. in Art 6 der Statut CPI (mit dem Ziel, jene Länder zu dämonisieren, die sich politisch nicht unterordnen und sich dem US-israelischen Befehl nicht ergeben). Der Fall des Libanon-Krieges erfüllt zweifellos den Tatbestand des Völkermordes. Die israelische Armee führte systematisch Angriffe durch, die primär auf Zivilisten abzielten. Diese wurden gezielt getötet (a), ernsthaft körperlich und psychisch verletzt (b) und bewusst Lebensbedingungen ausgesetzt, die ihnen jegliche Überlebensgrundlage entzog (c). Des weiteren stellen die verbotenen Bomben, insbesondere Splitterbomben und Toy Bombs, einen klaren Beleg für den Völkermord an der libanesischen Nation dar.

Aus all diesen Gründen:

Das Internationale Bürgertribunal zum Libanon befolgt das konventionale und internationale Gesetz, die rechtlichen Standards von1948 und der Genfer Konventionen und Protokoll A (1977) und das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs von 1998.

Auf dieser rechtlichen Basis analysiert das Int. Bürgertribunal die enormen Verbrechen durch Israel (wahlloses Bombardieren, Ermordung von mehr als 1000 Menschen, nachhaltiges Beschädigen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens) und definiert die israelischen Autoritäten als verantwortlich für den Krieg von 2006 gegen den Libanon.

Diese werden schuldig erklärt, folgende Verbrechen begangen zu haben:

1. Kriegsverbrechen
2. Verbrechen gegen die Menschlichkeit
3. Völkermord