Paradoxien des Völkerrechts

15.07.2008

Wenn Machtpolitik als Recht auftritt, dann ist besondere Vorsicht
geboten. Dieser Tage überraschte der Chefankläger des Internationalen
Strafgerichtshof, Luis Moreno-Ocampo, mit einer Ankündigung. Er wolle
den Gerichtshof ersuchen, einen Haftbefehl gegen den sudanischen
Präsidenten Omar el Beschir zu erlassen. Ein Ansinnen, das auf
Verwunderung selbst in der UNO gestoßen ist. Schließlich wäre dies das
erste Mal, dass ein amtierender Staatschef vor den Gerichtshof als
Angeklagter zitiert wird.

Die Struktur des Völkerrechts widerspricht grundsätzlich der Struktur
des Nationalstaates, in der durch formal übergeordnete Instanzen Recht
gesetzt und gesprochen wird. Im Völkerrecht hingegen existieren die
einzelnen Staaten als formal gleichberechtigte Elemente, die keiner
Institution untergeordnet sind. Die UNO entspricht in keinster Weise
einer solchen übergeordneten Instanz. Die formale Gleichberechtigung
bedeutet natürlich nicht, dass es keine Machtstruktur in der
internationalen Staatengemeinschaft gibt. Es bedeutet nur, dass diese
Machtstruktur in einem System formaler Gleichberechtigung existiert.

Moreno-Ocampo hat den Sudan auf die Anklagebank zitiert. Zwar nicht den
Staat an sich, da der Internationale Strafgerichtshof nur
individualstrafrechtliche Verantwortlichkeit natürlicher Personen
kennt, doch immerhin ein amtierendes Oberhaupt des Staates. Formal wird
argumentiert, dass die Verbrechen in Dafur für die Anklage
ausschlaggebend sind. Dieses Argument kann jedoch nicht über die
politische Bedeutung dieser Anklage hinwegtäuschen: Damit soll eine
Verurteilung des Sudans als Schurkenstaat erwirkt werden. Der
politischen und teilweise auch militärischen Aggression gegen den Sudan
soll nun eine juristische Legitimierung erhalten.

Damit wird aber deutlich, wie sehr Machtpolitik auf diese juristische
Ebene einwirkt. Selbst im staatlichen Rahmen ist diese Beziehung
augenscheinlich, doch im Völkerrecht ist sie bis zur Absurdität
gesteigert. Der Internationaler Strafgerichtshof hat die Hoffnung einer
bestimmten Schule des Völkerrechts genährt, dass Rechtsstaatlichkeit
nun auch das Handeln der Staaten bestimmen würde. Die entscheidenden
Brüche des Völkerrechts, wie etwa die Aggression der USA gegen den
Irak, blieben jedoch vom Gerichtshof unbehandelt. Die Legitimität hängt
vor allem vom Wohlwollen der mächtigsten Staaten ab und verkommt somit
zu einem formalen Legitimierungsinstrument. Er wird somit zu einer
politischen Farce degradiert, noch weit offensichtlicher, als dies
oftmals bei nationalstaatlichen Gerichtshöfen der Fall ist.

Falls es tatsächlich zu einer Anklage gegen den Präsidenten el Beschir
kommt, führt dies mit Sicherheit zu einer Eskalation der Situation in
Dafur. Bereits zuvor sind Soldaten der UNO und der Afrikanischen Union
von Milizen getötet worden. Vertreter der UNO haben ihre Besorgnis
darüber geäußert, dass der Schritt von Moreno-Ocampo die Lage weiter
zuspitzen werde. Eine Eskalation, die vor allem den USA nützt. Tote
UNO-Soldaten sind der geeignete Vorwand, um gegen das ungeliebte Regime
in Khartum loszuschlagen.

Paradoxer Weise haben gerade die USA mit der Rücknahme ihrer
Unterzeichnung dem IStGH vorderhand die Legitimität abgesprochen. Bill
Clinton erläuterte jedoch die perfide Strategie der USA in dieser
Sache: mit der Unterschrift wollte man Einfluss auf die Verhandlungen
nehmen, ohne dass man jemals an eine Gültigkeit der Satzung für
US-Staatsbürger dachte. Damit haben die USA durchaus Interesse an
diesem Gerichtshof, doch gleichzeitig wollten sie für ihre Bürger eine
privilegierte Stellung erwirken.

Völkerrecht ist - noch weit mehr als nationalstaatliches Recht - durch
Machtpolitik bestimmt. Die Einrichtung des Internationalen
Strafgerichtshofs war kein Schritt zur Etablierung einer
Rechtsstaatlichkeit auf internationaler Ebene. Vielmehr passt sich
dieser Gerichtshof präzise in die internationale Machtstruktur ein und
verkommt zu einem Instrument der mächtigen Staaten gegen ihre
Widersacher.

von Sebastian Baryli
13. Juli 2008