Offener Brief der arabisch-amerikanischen und islamischen Gemeinde an die US-Antikriegsbewegung

14.03.2004

Der Aufruf für die Demonstration am 20. März 2004 gegen die kolonialen Besetzungen wurde von einer bundesweiten Koalition von Organisationen und Gemeinden herausgegeben und gebilligt.1 Er endete mit der Forderung, dass "jede koloniale Besatzung vom Irak bis Palästina und überall" zu beenden wäre. Ebenso wurde gefordert "die Truppen sofort abzuziehen", ohne Verzögerung, und es wurde gegen die internationale Deckung für die koloniale Besetzung des Irak Stellung bezogen.
Manche Teile der Antikriegsbewegung sprechen sich gegen diese Forderungen aus, und verlangen, dass der Bezug auf Palästina aus dem Aufruf für den 20. März entfernt werde (wie sie das schon oft gefordert hatten), und dass die Internationalisierung der Besetzung des Irak eine mögliche Option sein sollte.
Als Reaktion und im Kontext einer langen Geschichte, in der wir, die arabisch-amerikanische und islamische Gemeinde, immer wieder zum Schweigen gebracht und marginalisiert wurden, verfassten wie diesen offenen Brief an die Bewegung.

Werte Organisationen und Aktivisten für Frieden und Gerechtigkeit!

Am 20. März 2004 wird die Welt gegen Krieg und koloniale Besetzung demonstrieren. Die Bedeutung dieses historischen Tages ist für jeden offensichtlich und benötigt keine weiteren Ausführungen. Politische Ausrichtung und Charakter dieser Mobilisierung in den USA bleiben jedoch vage.
Dies ist der Standpunkt unserer Gemeinde: Die Völker Palästinas und des Irak haben einen hohen Preis in den Konfrontation und Kriegen gezahlt. Beide stehen gegen das imperiale Projekt Schulter an Schulter mit farbigen Gemeinschaften und der Arbeiterklasse der USA, sowie mit vielen anderen unterdrückten Völkern auf der ganzen Welt, von Afghanistan bis Kolumbien, und von den Philippinen bis Puerto Rico.
Ohne Zweifel stehen sowohl das palästinensische als auch das irakische Volk zusammengeschweißt in unzerbrechlicher Einheit an vorderster Front der globalen Antikriegsbewegung, selbst als Ganzes darin aufgehend, und bezahlen ihre Verteidigung mit dem teuersten, was sie besitzen – ihrer Existenz. Obwohl Häuser zerstört, Kinder getötet, Land konfisziert, Bäume ausgerissen, Städte kolonisiert, ethnisch gesäubert und Mauern gebaut werden, Flüchtlinge staatenlos bleiben und die beiden Völker ihrer Selbstbestimmung beraubt werden, bleiben sie die Antithese des Imperiums mit einer Vision von Gerechtigkeit für alle.
In den Vereinigten Staaten wurden wir, die arabischen Amerikaner und Muslime böswillig als Zielscheibe ausgewählt, unserer Rechte beraubt und außerhalb des Verfassungsrahmens dieses Landes positioniert. Ein neues Cointelpro2 wurde gegen unsere Häuser und Wohnzimmer losgetreten, während unsere Väter, Mütter, Söhne und Töchter uns entrissen und in unbekannte Gefängniszellen geworfen wurden. So stehen wir heute in Kontinuität der Geschichte gemeinsam mit Afroamerikanern, japanischen Amerikanern, Latinos, Indianern und allen anderen in einem schmerzhaften Kampf für Gerechtigkeit. Wir stellen uns in eine Reihe mit ihnen, denn sie sind unsere Vorgänger und Partner auf diesem langen Weg.
Daher erklären wir, die Unterzeichnenden, folgendes:
1. Wir akzeptieren die Abtrennung des Kampfs des palästinensischen Volks von der Antikriegsbewegung nicht und betrachten den Kampf in Palästina wie er weltweit betrachtet wird – nämlich als zentral in jeder Mobilisierung für Frieden und Gerechtigkeit.
2. Wir bestehen darauf, dass das palästinensische Recht auf Rückkehr und Selbstbestimmung die zentrale Forderung des palästinensischen Kampfs ist und dass Organisationen, die versuchen diese zu vernachlässigen, von ihr abzulenken oder sie aufzuheben, unabhängig von ihren sonstigen Positionen zu Palästina, gegen den Willen und die Hoffnung des palästinensischen Volks handeln.
3. Wir betrachten alle Versuche unsere kollektive Präsenz an den Rand zu drängen oder unsere Partizipation an der Bewegung nur symbolisch zuzulassen als rassistisch. In dem Versuch die arabischen und muslimischen Stimmen über Dekaden hinweg zum Schweigen zu bringen, besonders jene des palästinensischen Volks, stand die Bewegung in den USA in der weltweiten Bewegung für Gerechtigkeit alleine da. Wir sehen uns als vollwertige Partner in der Führung der Bewegung und weisen jeden Versuch unsere Präsenz zu limitieren zurück.
4. Wir betrachten die Positionen, dass die "koloniale Besetzung des Irak internationalisiert werden muss" oder dass die Beendigung der Besetzung über einen gewissen Zeitraum von statten gehen wird, bis "die Iraker selbst fähig sind, ihre Demokratie zu sichern", als implizit kolonialistisch und rassistisch. Das sind Positionen, die ihre Wurzeln im Konstrukt eines "Zivilisationsauftrages" und "die Last des weißen Mannes" zu "zivilisieren" haben.
5. Wir rufen unsere Völker überall auf, alle Organisationen für ihre Positionen zur Verantwortung zu ziehen, – besonders jene, die rassistische Ansichten gegenüber uns haben, implizit oder anders, besonders jene, die unseren Kampf limitieren und nur symbolisch zulassen wollen. Einer Organisation oder Bewegung, die es akzeptabel findet, den Kampf irgendeines Volks aus politischer Zweckdienlichkeit zu minimieren oder zu ignorieren, sollte es unmöglich sein innerhalb der weltweiten Bewegung für Gerechtigkeit eine Funktion auszuüben. Gerechtigkeit ist weder selektiv, noch teilbar, noch an Bedingungen geknüpft.
Wir stehen fest zu diesen Prinzipien für die Mobilisierung am 20. März und rufen alle Gemeinden und Organisationen auf zu mobilisieren und gemeinsam zu folgenden vereinigenden fünf Parolen zu stehen:

Für ein Ende der kolonialen Besetzung im Irak, Palästina und überall!
Bringt die Truppen nach Hause – sofort!
Nein zur Internationalisierung der kolonialen Besatzungen!
Stoppt die Angriffe auf zivile Freiheiten!
Geld für Arbeit, Erziehung und Gesundheit und nicht für Krieg!
Wir erklären uns solidarisch mit den Teilen der Bewegung, die eine prinzipielle Position für die Gerechtigkeit eingenommen haben, und suchen die Teilnahme und Stärkung dieser Strömung mit der Perspektive des Aufbaus einer weltweiten Front gegen Krieg.
Alle auf die Straße am 20. März 2004!
Unterzeichnende Organisationen (in alphabetischer Reihenfolge):
Al-Awda, the Palestine Right to Return Coalition; Al-Bireh Palestine Society, California Chapter; Al-Qalam Institute; American Muslims for Jerusalem (AMJ); American-Arab Anti-Discrimination Committee, Greater Sacramento Area Chapter; American-Arab Anti-Discrimination Committee, New Jersey Chapter; American-Arab Anti-Discrimination Committee, Seattle Chapter; American-Arab Anti-Discrimination Committee, Los Angeles/Orange County Chapter; American-Arab Anti-Discrimination Committee, San Francisco Bay Area Chapter; Arab Muslim American Federation; Arab-American Community Center, Chicago; Arab-American Forum, New Hampshire; Arab-American Press Guild; San Francisco Bay Area Palestine Coalition; Canada-Palestine Association; Canada-Palestine Friendship Society; Canadian Arab Federation; Committee for Democratic Palestine – Canada; Committee for Justice – USA; Deir Yassin Society of New York; Free Palestine Alliance – USA; Friends of Ghassan Kanafani, Toronto Chapter; Kana…‘an Review; Muslim American Society Freedom Foundation (MAS Freedom Foundation); Muslim Students Association of the US and Canada (MSA-National); Muslim Students Association, California State University, Sacramento; National Council of Arab Americans (NCAA); Palestine House Educational and Cultural Center, Canada; Palestine Right of Return Congress – USA; Palestine Solidarity Committee – Los Angeles; Palestine Solidarity Committee – Seattle; Palestine Solidarity Group – Chicago; Palestinian American Women…‘s Association (PAWA); Sacred Roots; Students for Justice in Palestine, California State University, Sacramento; Students for Justice in Palestine, University of California, Davis; The Islamic Association for Palestine (IAP); The United Muslim Association of High Schools Club

Weitere Informationen: al-awda.org

1 Zu den Unterstützern zählen unter anderen die ANSWER Coalition, Al-Awda, Palestine Right to Return Coalition, National Lawyers Guild, Arab Muslim American Federation, Free Palestine Alliance-USA, Muslim American Society Freedom Foundation, Muslim Student Association USA und Kanada, Nationaler Rat der arabischen Amerikaner (NCAA).
2 Cointelpro ist ein Akronym für eine Serie von FBI-Programmen, die zwischen 1956 und 1971 geschaffen wurden, um politische Dissidenten in den USA, vor allem Kommunisten, zu "neutralisieren".