Psychiatrie in Bethlehem, Wahnsinn in Gaza

29.08.2009

Vorabdruck „Intifada Nr. 29, Herbst 2009“: Der sechste Kongress der Fatah in Bethlehem

Der Name Bethlehem hängt in Palästina nicht nur mit dem Geburtsort von Jesus zusammen, sondern auch mit Psychiatrie, denn in dieser Stadt befindet sich das einzige psychiatrische Krankenhaus im Westjordanland. In der Volkssprache wird über einen Psychiatriereifen gesagt: Ab nach Bethlehem!

Dorthin pilgerten am 4. August 2260 Delegierte der „Palästinensischen Nationalen Befreiungsbewegung“, abgekürzt: FATAH, wo der sechste Kongress ihrer Bewegung tagte. Ein historisches Ereignis, nicht nur wegen der Tatsache, dass der letzte derartige Kongress im Jahre 1988 stattgefunden hatte. Denn sogar den fast ausgetrockneten Jordan ist seit 1988 viel Wasser hinuntergeflossen: die erste Intifada, das Oslo-Abkommen, die Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA), das Scheitern der Verhandlungen, die zweite Intifada, Arafats Tod, der Wahlsieg von Hamas, der Machtverlust der Fatah in Gaza, die Umwandlung der Fatah in eine Kollaborationsbehörde im Westjordanland usw.

Für alle diese Themen hatten die 2260 vorsichtig auserlesenen Fatah-Delegierten ganze drei Tage, aus denen schlussendlich fünf wurden.

Die Wahl von Bethlehem als Kongressort im besetzten Westjordanland bringt den Kongress unter israelische Kontrolle. Israel bestimmt, wer die Grenzen passieren darf und machte in diesem Sinne die Einreise an sich zu einer Demütigung der Oslo-Gegner innerhalb der Fatah. Das Beharren von Abbas und seiner Regie auf Bethlehem als Austragungsort diente dazu, die meisten seiner politischen Gegner, darunter hochrangige Gründungsmitglieder der Fatah wie etwa Faruq Qaddumi (formal der Außenminister der PLO) auszuschließen.

Die Fatah hat sich historisch als unüberschaubare Zusammensetzung von mehreren politischen Strömungen unterschiedlicher Ideologien und Ziele entwickelt. Ein Bündel mit nicht-zusammenhängendem Inhalt, das jahrelang in der Faust von Arafat zusammengehalten wurde, der vor allem die Finanzen der Bewegung kontrollierte. Welche Strömung innerhalb der Bewegung in den Vordergrund trat, das hing immer mit der regionalen und internationalen politischen Konjunktur zusammen. Die Statuten der Fatah sind so dehnbar, dass sie zum Schluss jenem dienen, der die Geldmittel kontrolliert und mit seinen Außenbeziehungen Druck ausüben kann.

Im Zentralkomitee (ZK) waren ursprünglich alle Strömungen vertreten. Durch Austritt oder natürlichen bzw. gewaltsamen Tod von ZK-Mitgliedern, verlagerte sich das Gewicht innerhalb des ZK ebenfalls der internationalen politischen Konjunktur zufolge. Da die Statuten dem ZK das Recht geben, die Kongressdelegierten zu ernennen, ist die Wahl des ZK durch den Kongress eine Farce.

Da ein wesentlicher Teil der ZK-Mitglieder (unter ihnen kein geringerer als Arafat selbst) tatsächlich gestorben ist oder keine Einflussmöglichkeiten hat, konnten Abbas und seine Anhänger eine angenehme Mehrheit der Delegierten zum Kongress durchbringen. Anderen, die den willkürlich zusammengesetzten Kongress boykottieren wollten, wurde mit dem Abdrehen der Gehälter gedroht. Eine Scheinopposition muss auch dabei sein, um dem Kongress einen konfrontativen und somit legitimen Charakter zu verleihen.

Der Ausfall der Delegierten aus Gaza durch das von Hamas verhängte Ausreiseverbot durfte die Beschlussfähigkeit nicht stören: Rund fünfhundert neue Delegierte aus dem Westjordanland wurden als Ersatz ernannt. Die Gazaner durften dann per SMS oder Telefon abstimmen.

Die Anführer des Militärs und der Sicherheitsapparate waren übervertreten. Hingegen musste Zakaria Zubeidi, Anführer der Aqsa-Brigaden und Held der Schlacht um das Flüchtlingslager Jenin 2002, am Eingang feststellen, dass sein Name doch nicht auf der Delegiertenliste stand. Er musste in Bethlehem auf eine „Koordination“ mit den Israelis warten, die ihn unversehrt nach Jenin zurückbringen würde.

Von Bilanzen und Diskussionen über die Ereignisse der vergangenen zwanzig Jahre und ihre Bedeutung für die Gegenwart war nicht die Rede. Die Eröffnungsansprache von Abbas wurde später als „Bericht des ZK“ verkauft, es gab keinen Finanzbericht und alle politischen und organisatorischen Streitthemen wurden vom öffentlichen Kongress in kleine geschlossene Runden verbannt, die dann ihre Berichte separat an die neugewählte Führung abgeben sollen.

Spaß beiseite: Der Fatah-Kongress erreichte das von den Organisatoren gesetzte Ziel: Wahl eines neuen ZK. Genau genommen bedeutet das die Eliminierung eines Teiles der „alten Garde“, die in der Fatah und in der PLO in Opposition zu Abbas stand.

Unter dem Motto „Verjüngung“ der Bewegung, ersetzte man 70-jährige Oslo-Gegner durch 70-Jährige Abbas-Treue. Die jungen Gesichter, alle in die PNA eingebunden und viele aus den Sicherheitsapparaten der PNA, wie etwa der verhasste Mohammad Dahlan (1), wurden in das ZK hinauf katapultiert. Arafats Tod und die Verlagerung des politischen und finanziellen Gewichts ins Westjordanland marginalisiert die Auslandsführung. Die Macht konzentriert sich um die von den Israelis bevorzugten Abbas und Dahlan.

Abgesehen von den üblichen Sätzen über das Recht auf Widerstand (Abbas ersetzte in seiner Rede den Begriff „bewaffneter Kampf“ durch „Volkswiderstand“) hat der Kongress keine politische Wende im Programm der Fatah gebracht. Der jetzige Kurs der fast bedingungslosen Kollaboration mit der israelischen Besatzung wurde bestätigt, die Hauptakteure holten sich ihre Legitimität aus dem Parteikongress und auch die Fatah-Sitze in der veralteten PLO-Exekutive wurden mit neuen Gesichtern aufgefüllt. Diese wird der Autonomiebehörde (PNA) unterstellt und dient nur dazu, der Kollaborationsbehörde historische Legitimität zu verleihen, etwa im Streit mit der gewählten Hamas-Mehrheit  (die Hamas ist nicht Teil der PLO) im Parlament der PNA.

Mohamed Aburous