Indische Linke

04.01.2005
Der Kampf der indischen Armen zwischen Institutionen und Guerilla
Indien ist das größte Land der Erde, das sich als Demokratie nach westlichem Muster versteht. Es leben dort jedoch 39 Prozent der Armen der Welt und über 508 Millionen der 1,3 Milliarden Einwohner Indiens verdienen weniger als einen Doller am Tag.

Zu den Ärmsten der Armen gehören die Kleinbauern und Landlosen. Rund 37 Prozent des gesamten Volkes können nach offiziellen Angaben weder lesen noch schreiben. Obwohl Indien zu den größten Atommächten gehört, leben in Delhi zirka 150 000 Kinder auf der Straßen. Im Schatten der Hochhäuser wohnen Tausende in Slums. Der extreme Unterschied zwischen den Reichen und den Armen ist insbesondere am Land sichtbar, wo dreiviertel der Menschen leben. Auch fünfzig Jahre nach der Unabhängigkeit Indiens ist das Feudalsystem am Land tief verwurzelt.
In der Provinz Bihar besitzen sechs Prozent der Bauern 51 Prozent der Bodenfläche. Die Kleinbauern leben daher fast wie Leibeigene. Aus dieser problematischen Situation sind in der Vergangenheit immer wieder Kerne revolutionärer Organisationen entstanden und das geschieht auch heute noch.

Es gibt viele linke Gruppen, Organisationen und Parteien in Indien, etwa die Communist Party of India (Marxist-Leninist), die Party Unity (CPI [ML]-PU), die Communist Party of India (Marxist-Leninist) - Liberation (CPI [ML]-L), das Maoist Communist Centre (MCC), die People`s War Group (PWG) und andere. Von diesen Parteien sind die All-India Forward (AIFB), die Kommunistische Partei Indiens, die Kommunistische Partei Indiens-Marxisten, Revolutionary Socialist Party (RSP) politische Parteien, die regelmäßig an den Wahlen teilnehmen. Die kommunistischen Parteien unterstützen die bewaffnete Bewegung nicht und sind Teil der institutionellen Politik geworden.

Die Peoples War Group, die Naxaliten, das Maoist Communist Centre, die Communist Party of India (Marxist-Leninist) und andere einzelne Volksbefreiungsarmeen gehören zu den linken militanten Gruppen, die traditionell die Linie der kommunistischen Parteien abgelehnt haben.

Der bewaffnete Volkskampf

Die nach dem Ort Naxalbari benannte maoistische Guerillabewegung der Naxaliten nahm zwischen 1967 und 1970 als bewaffneter Bauernaufstand in den Unionsstaaten Westbengalen und Andhra Pradesh ihren Anfang. In den im Osten und Nordosten des Subkontinents gelegenen Unionsstaaten Bihar, Madhya Pradesh, Orissa und Westbengalen verübten bewaffnete Gruppen der linksgerichteten Naxaliten Übergriffe gegen Beamte, Landbesitzer, staatliche Sicherheitskräfte und Privatarmeen. Alle Versuche die Naxaliten mit Gewalt zu unterdrücken, sind gescheitert. Die Bewegung der Naxaliten besteht seit über 35 Jahren. Die naxalitische Ideologie basiert auf historischen Dokumenten von Charu Majumders. Sie beruft sich auf die kreative Anwendung des Marxismus, des Leninismus und der Lehre Mao-Mao Testungs.

Die Peoples War Group (PWG) ist im Süden Indiens, in Andhra Prades, am stärksten im Volk verankert. Sie ist auch in anderen 14 Städten aktiv und genießt die Unterstützung der Menschen. Am 30. September 2004 organisierte sie zum erstenmal in den letzen 15 Jahren eine Demonstration, an der mehr als zehntausend Menschen teilnahmen.

Das Maoist Communist Centre (MCC) ist die zweit bedeutendste Linksguerillagruppe und ist in Bihar sehr aktiv, außerdem auch in verschiedenen andere Städten. Die beiden Organisationen MCC und PWG sind beide in mehr als zweihundert Bezirken in über dreißig Distrikten stark vertreten. Die Rebellenorganisationen heben in Bihar Steuern von Lokalbeamten und Unternehmen ein. Schätzung zufolge nehmen sie damit jährlich mehr als sechs Millionen Euro von. MCC und PWG sind Mitglieder des Coordination Comittee of the Maoist Parties and Organizations of South Asia (CCOMPOSA) und unterstützen die Nepalischen Maoisten (die Kommunistische Partei Nepals).

Am 8. Oktober 2004 erklärte ein Vertreter der Organisationen, Genosse Sagar, in einer Pressekonferenz, dass PWG , MCC und noch zwei Parteien, die sich von der von der Communist Party of India (Marxist-Leninist) abgespalten haben, zusammen eine neue Kommunistische Partei mit maoistischer Ausrichtung sowie eine Volksguerillagruppe aufbauen werden, die neben institutioneller Politik auch, wenn es nötig wäre, den bewaffneten Volkskampf führen wird.

Es gab von Anfang an viele Strömungen im linken Lager. die CPIM (Marxist - Leninist) ist eine Gruppe, die sich in den späten 60er und 70er Jahren von den Naxaliten abgespalten hat. Allerdings ist die gesamte Bewegung seit ihren Anfänge in viele Teile aufgesplittert. Die Spaltungen sind noch immer gegenwärtig. Es gibt fast in allen Provinzen linke Splitterparteien und Organisationen, die regelmäßig aktiv sind. Der bewaffnete Volksbefreiungskampf war schon immer am Land stärker spürbar als in den großen Städten. Die seit Jahrhunderten beherrschten Menschen aus den armen Gebieten unterstützen ihn.

Das größte Problem der gesamte Bewegung ist noch immer tief unten. Sie ist aktiv aber in viele Teile gespalten. Außerdem ist die Volksbefreiungsbewegung vor allem in den großen Städten abwesend und in manchen Regionen, wenn sie überhaupt vertreten ist, sehr schwach. In der 60er und 70er Jahre waren die Naxaliten und die KPen sehr aktiv. Manche sind noch immer aktiv, doch einige haben aufgehört sich am Kampf zu beteiligen.

Indische Kommunistische Parteien

Die kommunistischen Parteien wie die CPI, die CPI-M oder die AIFB, die institutionelle Politik betreiben, haben in manchen Gebieten so wie in Kerala, Tripura, Uttar Prades oder Maharastra eine starke institutionelle Verankerung. In Westbengalen regiert die CPIM zusammen mit einem aus neun Parteien bestehenden linken Block seit 1977. Die CPIM spaltete sich 1964 aus der CPI wegen Meinungsverschiedenheiten über China und die UdSSR. Heute ist sie aber eine der mächtigsten Parteien aus dem linken Lager und besteht offiziell aus 818 408 Mitgliedern.

Im Jahr 2004 hat die gesamte Linke bei den Parlamentswahlen 69 Mandate gewonnen. Überhaupt zum ersten Mal in Indiens Geschichte gab es eine richtige dritte Kraft zu sehen. Die CPI ist die älteste kommunistische Partei Indiens und wurde 1920 in der UdSSR gegründet. Die CPI hat in Westbengalen, in Kerala und in manchen anderen Städten starken Einfluss bei den Wahlen. 1957 gewann die CPI in Kerala als erste kommunistische Partei auf der Erde in einem westlich ausgerichteten Land. Vom Stadtbild her ist Kerala auch heute noch eine der linksten Städte Indiens.

Allerdings haben die Führungen der Kommunisten, so wie etwa die CPIM, ihre revolutionäre Perspektive aufgegeben und betreiben heute eine reformistische und auch teilweise liberale Politik. Seit Jahrzehnte haben die Maoisten und die Marxisten–Leninisten (ehemalige pro-Moskauer) Meinungsverschiedenheit wegen des reformistischen Kurses und ihrer Orientierung auf institutionelle Politik. Die Naxaliten lehnen institutionelle Politik ab. Aber weil sich in den letzten Monaten die PWG und die MCC zusammengeschlossen haben um sowohl eine neue legale Partei als auch eine bewaffnete maoistische Organisation zu gründen, ist klar, dass es auch im linken Lager eine dritte Kraft geben wird. CPIM und CPI haben darauf nicht reagiert.

Die Bhartiya Janta Party (BJP), die radikale Hinduisten, hat für ihre Wahlpropaganda im Jahr 2004 den Slogan "I let my India shine" verwendet. Was für eine Farce angesichts der tiefen Armut und des Elends, in dem die Volksmassen in Indien leben! Zum ersten Mal in der Geschichte haben die KPen mit ihrem Erzfeind, der Kongress-Partei, zusammengearbeitet um die BJP von der Bühne zu werfen. Das ist ihnen gelungen und damit haben die Kommunisten gezeigt, dass sie in der Lage sind alles zu tun um die Faschisten zu bekämpfen. Außerdem hat man ihnen Machtpolitik vorgeworfen. Doch sie haben durch die Absagung von Regierungsbeteiligung bewiesen, dass dieser Vorwurf falsch ist. Auch in den kommunistischen Hochburgen bewegt sich etwas. Es wird dort nicht nur institutionelle Politik betrieben, sondern auch eine Vielzahl von Demonstrationen, politischen und kulturellen Veranstaltungen abgehalten.

Schlusswort

Bis 2050 wird Indien von der Menschendichte her China überholt haben und das bevölkerungsreichste Land der Welt sein. Wie die BJP-Faschisten oder die herrschende Kongress-Partei, die so stolz auf ihre Demokratie nach westlichem Vorbild sind, diese Demokratie in den Dienst des Volkes stellen werden, scheint doch sehr unklar zu sein. In westlichen Ländern sind indische Techniker sehr begehrt, ein Großteil der T-Shirts und Hosen hier im Westen kommen aus Indiens Niedriglohn-Nähereien, in denen minderjährige Kinder täglich 15 bis 17 Stunden arbeiten müssen. Auch wenn es von Ferne aussieht, dass es Verbesserungen geben würde, ist es in Wahrheit nicht so. In den Armenvierteln verändert sich kaum etwas. Dort gibt es weder Schulen noch Krankenhäuser. Die Menschen
Leben in tiefer Armut. Aber daneben werden die Leistungen Indiens in den Nischenbereichen der globalisierten Ökonomie Tag für Tag stärker.
Mit Hilfe der neuen Technologie besitzt Indien heute verschiedene Vernichtungswaffen und Bomben, während es kein Geld für Straßenkinder, Hungernde, Obdachlose, Schulen und Krankenhäuser ausgibt. Die Menschen wissen überhaupt nicht einmal auf wessen Boden sie leben, in welchem Zeitalter sie leben und was das Wort Demokratie bedeutet. Der Krieg in Kashmir wurde und wird noch immer mit dem Geld der Zivilbevölkerung bezahlt.

Ob die Linke sich in einer solchen Situation bewaffnen oder in den Institutionen arbeiten sollte, ist nicht eindeutig zu beantworten, aber gleichwohl geht der Kampf um bessere Lebensbedingungen, Freiheit, Demokratie, Eigenständigkeit und Menschenrechte, der seit Jahrzehnte geführt wird, weiter.

Alin Kalam

Alin Kalam stammt aus Bangladesh und lebt in Wien.