Sumud besucht Gedenkstätten der Märtyrer und Stätten des Sieges (1)

Campaign: 
03.08.2010
Beirut und Südlibanon - Teil I
Mohammad Aburous
Teil I: Gedenkstätten der Märtyrer und die Last der Geschichte [Die Sumud-Delegation besucht Sabra und Shatila, das „Palestinian Youth Centre“ der PFLP, den Märtyrerfriedhof des palästinensischen Widerstandes, die Demokratische Volkspartei und trifft den Chefredakteur von al-Akhbar]
Märtyrerdenkmal Sabra und Shatila

Am Morgen des Donnerstag, 29. Juli, machten sich die Sumud-Delegation, die Nashet-Aktivisten und die jungen Teilnehmer am Filmworkshop auf nach Beirut, um dort berühmte Stätten des Widerstandes zu besichtigen und mit palästinensischen und libanesischen politischen Organisationen zusammenzutreffen.

Erste Station war der Markt von Sabra. Sabra ist ein armes Viertel Beiruts, das inzwischen mit dem palästinensischen Flüchtlingslager Shatila zusammengewachsen ist. In Sabra ist die Bevölkerung gemischt: Dort leben Libanes/innen aller Konfessionen, Palästinser/innen und andere arme Ausländer/innen. Sabra und Shatila werden als ein einziger Ort betrachtet, insbesondere seit dem Massaker von 1982.

Auf dem Markt von Sabra kann man alles finden. Je tiefer man die lange Marktstraße hineingeht, umso billiger werden die Dinge und umso illegaler. Die Delegation kam schließlich in Shatila an. Anders als Ein El Hilweh ist das Flüchtlingslager von Shatila frei zugänglich. Es gibt keine Checkpoints und keine Passkontrollen durch die libanesische Armee. Das Lager wurde im Kontext der Beendigung des libanesischen Bürgerkrieges 1991 demilitarisiert. Trotzdem ist der Zustand der Gebäude und der Infrastruktur nicht sehr viel besser als in Ein El Hilweh. Einige Gebäude wurden nach ihrer Zerstörung im Zuge der israelischen Invasion von 1982 nicht wieder aufgebaut. Die palästinensischen Flüchtlinge stehen dort vor den selben Problemen wie überall im Libanon: systematische Diskriminierung und Verweigerung des Rechts auf Arbeit.

Wenn man das Lager betritt, verlässt man auch hier die libanesische Welt und befindet sich stattdessen in Palästina: Fahnen, Transparente, Poster und Logos aller Widerstandsorganisationen füllen das Lager. Die Delegation begab sich zu einem kurzen Besuch ins „Palestinian Youth Centre“ der PFLP-Jugendorganisation, wo ein Treffen mit einem lokalen Vertreter der PFLP stattfand. Er erläuterte die Situation der Flüchtlinge. Auf dem Rückweg besuchte die Delegation das Massengrab, wo Hunderte von Lagerbewohner/innen und Kämpfer/innen begraben liegen, die während der langen Belagerung 1986 im Zuge des Bürgerkriegs getötet worden waren. Die Nashet-Aktivisten erzählten den Besucher/innen die Geschichte der Kämpfe, der Siege und der Massaker, die unvergesslich in den palästinensischen Narrativ eingeschrieben bleibt, auch wenn sich an diesem kleinen Platz schon sehr viel Geschichte zugetragen hat.

Nächste Station war der Märtyrer-Friedhof des palästinensischen Widerstands. Tausende von Märtyrer/innen aller Organisationen, unterschiedlicher ideologischer und religiöser Hintergründe und verschiedener Nationalitäten, die in den aufeinanderfolgenden Kämpfen der palästinensischen Bewegung fielen, sind hier begraben. Der Besucher wird von Tausenden von Namen, Todesdaten, Nationalitäten und natürlich Geschichten darüber, wie jede/r einzelne im Kontext der palästinensischen Bewegung kämpfte und starb, überwältigt. Auf dem Friedhof gibt es auch leere symbolische Gräber für jene Genoss/innen, deren Körper nicht mehr geborgen werden konnten. Dies war z. B. für die beiden Kämpfer der Japanischen Roten Armee der Fall, die in einer spektakulären Aktion auf dem israelischen Ben Gurion-Flughafen starben. Auch prominente palästinensische Führungspersönlichkeiten finden sich hier: Amin Husseini, der Mufti Jerusalems, Intellektuelle und PLO-Führer, die von den Israelis in den 1970er und 1980er Jahren ermordet wurden. Viele der Gräber wurden durch Sabotageakte beschädigt, wobei insbesondere kommunistische Symbole entfernt wurden. Der Besuch endete beim Denkmal für die Opfer der Belagerung und des Massakers im Tal-Elzatar Camp. Das Massaker war 1976 von der libanesischen faschistischen Christen-Miliz verübt worden, die Tausenden der Bewohner/innen tötete und das Lager vollkommen zerstörte.

Die letzte Station der Denkmäler war das Massengrab der Opfer von Sabra und Shatila. Unter einem einfachen Gedenkstein in einem großen, leeren Hof liegen mehr als Tausend Opfer des Massakers begraben. In der Gegenwart des Todes ist der Platz von einer Stille erfüllt, trotz des lauten und lebendigen Marktes draußen, wo die Verkäufer auch die Außenmauern des Friedhofs mit ihren Marktständen belegen. Der Atmen wird schwer, wenn der/die Besucher/in darüber nachdenkt, worauf er/sie tatsächlich steht. Berührend war die Szene, als aufsteigende Tränen den Vertreter von Nashet und den Übersetzer daran hinderten, die Geschichte des Massakers weiter zu erzählen. Allen anwesenden Palästinenser/innen fiel es schwer, die Geschichte bis zu ihrem Ende vorzutragen.

Im Büro der Demokratischen Volkspartei

In dieser Stimmung begaben sich die Teilnehmer/innen zur nächsten Station. Der Atem war noch schwer während des Treffens mit der libanesischen Demokratischen Volkspartei. Ali Hashisho erklärte den Besucher/innen die Rolle seiner Partei während des Bürgerkriegs und im Zuge des Widerstandes gegen die israelische Besatzung. Die Partei nahm am Bürgerkrieg aktiv als Teil der Progressiven Front auf Seiten des palästinensischen Widerstands teil. Hashisho stellte fest, dass seine Partei die einzige libanesische Partei ist, die sich nicht ihrer Rolle im Bürgerkrieg schämt und sich nicht davon distanziert oder versucht, ihre Teilnahme zu rechtfertigen. Der Krieg war, so Hashisho, mit einigen Ausnahmen ein nationaler und ein Klassenkrieg, der sich notwendigerweise ergeben hatte und auch zu positiven Auswirkungen führte: der Entstehung des libanesischen Widerstands. Hashisho fasste die Differenzen seiner Partei mit der Libanesischen Kommunistischen Partei auf zwei Ebenen zusammen: ideologisch, da seine Partei die Leninsche Organisationsform betont und politisch, da für seine Partei der antiimperialistische Kampf Priorität hat und auf nationaler Ebene ein Bündnis mit dem islamischen Widerstand (Hezbollah) besteht.

Nach dem Treffen fuhr die Delegation nach Ein El Hilweh zurück, um Vertreter der Hamas zu treffen, die das Sumud-Zentrum am gleichen Abend besuchen sollten.

Al-Akhbar: professioneller linker Journalismus im Libanon

Während der Großteil der Delegationsteilnehmer/innen nach Ein El Hilweh zurückkehrte, begleitete eine kleine Gruppe die deutsche Landtagsabgeordnete Bärbel Beuermann bei einem Besuch in der Redaktion der Zeitung Al-Akhbar (The News). Die Zeitung war 2006 von linken Autor/innen und Journalist/innen unterschiedlicher Strömungen gegründet worden und gilt heute als zweitgrößte (gemessen an der Auflage), jedoch meistgelesenste (in der Internetausgabe) Tageszeitung. Die Kombination von Nachrichten, politischer Analyse und einer Grundhaltung, die den Widerstand unterstützt, hat es der Zeitung ermöglicht, ein Vakuum in der Zeitungslandschaft der Region zu füllen. Heute zählt sie zu den populärsten Zeitungen in der Arabischen Welt.

Die kleine Gruppe wurde von Chefredakteur Khaled Saghyeh empfangen, der die Position der Zeitung bezüglich des politischen Lebens im Libanon und der regionalen Entwicklungen erklärte. Es entwickelte sich eine Diskussion über die Bedingungen von Journalismus im heutigen Libanon und wie es möglich war, dass sich eine unabhängige linke Zeitung von guter Qualität entwickelte, trotz des allgemeinen Niedergangs der Print-Medien. Das Interview mit Khaled Saghyeh wird separat veröffentlicht.

Zum Ausklang des langen und eindrucksvollen Tages in Beirut gab es ein kleines Willkommensfest für einen weiteren Teilnehmer, der im Lager angekommen war: Drago, einer der Koordinatoren der Sumud-Delegation 2009. Für den kommenden Tag war ein Besuch im Südlibanon geplant, wo die Gruppe sich ein Bild vom Sieg des Widerstandes gegen die israelische Invasion machen sollte.

Teil II: Südlibanon – In den Fußstapfen des palästinensischen und libanesischen Widerstandes
http://www.sumud.at/node/31

Fotogallerie bei Picasa:
http://picasaweb.google.it/sumud.pm/

www.sumud.at

Verweise