Die Fatah, eine Partei zwischen Illusion und Korruption

29.09.2005

Ein Kommentar über die diskreditierte Partei

Die derzeit noch stärkste politische Gruppierung in Palästina ist die Fatah und wir hatten im Verlauf unserer Solidaritätsdelegation auch mehrfach Gelegenheit, mit Politikern aus ihren Reihen oder zumindest aus ihrem Umfeld zu sprechen, ebenso wie mit einer Reihe von "Menschen von der Straße" über die Regierung und über Fatah. Eines lässt sich vorwegnehmen: Es gibt niemand in ganz Palästina, der in der Bevölkerung so stark an Vertrauen verloren hat wie Fatah und es gibt außer den Fatah-Politikern niemand, der so stark auf die USA setzt wie sie! Vereinfacht lässt sich das so formulieren: Die Fatah-Politiker glauben nicht mehr an ihr Volk und die Bevölkerung glaubt nicht mehr an ihre Fatah-Politiker!

Am Deutlichsten kam das gleich am zweiten Tag unseres Aufenthaltes in Palästina bei einem Gespräch mit dem früheren Bürgermeister von Betlehem Fuad Kokely zum Vorschein. Der smarte Juppie in mittlerem Alter sah doch tatsächlich für die Politik nur eine vordringliche Aufgabe, nämlich seine Landsleute zu mehr Demokratie zu erziehen, wobei er unter Demokratie ausdrücklich die Demokratie in den USA meinte und auch das Wort Zivilgesellschaft verwendete (Anm.: Woher er dieses Vokabel nur hat?). Ist das einmal geglückt werden sich alle Probleme (fast) von alleine lösen. Die USA werden dabei natürlich tatkräftig zur Seite stehen (Anm.: Fragt sich nur wie und auf welcher Seite). Und das sagt dieser Fatah-Mann in einer Stadt, die durch die Mauer und einen Checkpoint von der nur 15 Minuten entfernten Altstadt von Jerusalem praktisch abgeschlossen ist und die durch den progressiven Siedlungsbau für jüdische Siedler mehr und mehr eingeschnürt wird (siehe dazu auch "Landraub um Beit Jala"). Einer Stadt, deren nicht in der Landwirtschaft tätige Bewohner früher zur Hälfte vom Tourismus und zur anderen Hälfte von der Arbeit in Jerusalem lebten. Landwirtschaftliches Gebiet wurde von Israel für den Siedlungsbau einschließlich der enormen "Sicherheitszonen" ersatzlos enteignet, Pendeln nach Jerusalem ist seit dem Mauerbau und dem Checkpoint praktisch unmöglich geworden und der Tourismus beträgt heute nur mehr 5% des ursprünglichen Tourismus vor dem Mauerbau. Die Touristen, die kommen, werden mit israelischen Autobussen zur Geburtskirche gebracht und anschließend wieder nach Israel zurückgeführt. Die Bewohner Bethlehems haben praktisch nichts davon! Kein Wort verlor unser smarter Juppie über den geforderten Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten und den Abbruch der israelischen Siedlungen, der Rückgabe enteigneten Landes an die früheren Besitzer und das Rückkehrrecht aller Flüchtlinge. Nein, Demokratie sollten seine Landsleute lernen, arbeitslos und mit knurrendem Magen!

Er selbst dürfte diese Probleme ja nicht haben, denn nach seinen Ausführungen blockte er kritische Fragen mit der Feststellung ab, dass er schon gehen müsse, denn er habe seiner Frau versprochen anschließend mit ihr mexikanisch essen zu gehen, und schließlich dürfe er seine Frau nicht warten lassen! Da kann man nur verständnislos den Kopf schütteln!

Den Abzug der 8000 israelischen Siedler aus dem Gazastreifen konnte er uns noch nicht als großes Friedenswerk und den ersten Schritt auf dem Weg zu einem souveränen palästinensischen Staat vortragen, denn man schrieb den 16. August und die Räumung der Siedlungen war erst im Anlaufen; das haben dafür die Fatah-Politiker, mit denen wir später gesprochen haben, umso ausführlicher getan, allen voran der Gouverneur der Provinz Jenin Khadura Moussa. Er setzte bereits voll (und ausschließlich)auf die amerikanische Karte, indem er die simple Meinung vertrat, die USA hätten sowohl in Afghanistan als auch im Irak eine moralische Niederlage erlitten und so hätten sie ein großes Interesse daran ihr Image in der Welt zu verbessern. Deshalb würden sie Israel auch zum Rückzug aus den besetzten Gebieten zwingen und Pate bei der Gründung des neuen Palästina stehen! Dass die USA das ganze auch finanzieren würden versteht sich ganz von selbst und musste nicht ausdrücklich erwähnt werden.

Als der Schreiber dieses Artikels dann provokant die Frage stellte, ob er glaube, dass sich Israel früher aus den 1967 besetzten palästinensischen Gebieten oder vom Golan zurückziehen würde (mit dieser Frage wollte ich ihn "auf die Schaufel nehmen") antwortete er zur allgemeinen Verblüffung, dass sich Israel selbstverständlich zuerst aus allen besetzten palästinensischen Gebieten und erst danach vom Golan zurückziehen werde, denn schließlich sei der Friede mit Palästina viel wichtiger als der mit Syrien. Danke, alles klar, keine weiteren Fragen mehr.

Anzumerken ist an dieser Stelle, dass einer unserer Betreuer kurze Zeit später zu mir kam und ausdrücklich betonte, dass das vorhin Gesagte nicht die Meinung aller sei und es auch durchaus kritischere Einschätzungen gebe. Eines allerdings ist uns gerade in Jenin aufgefallen: Es gibt einen relativ raschen Wiederaufbau mit amerikanischem Geld (USAID, siehe Kasten), natürlich immer ganz groß als Hilfe der USA angekündigt. An anderer Stelle erfuhren wir dann, dass die USA dabei sehr klug vorgehen und große Geldmittel genau dort einsetzen, wo sich propagandistische Erfolge für die USA erzielen lassen und das werde vom CIA genau vorbereitet nach dem Motto: Gibt die EU für ein Wiederaufbauprojekt 10 Millionen, geben die USA sofort 30 Millionen um zu zeigen, die USA sind besser, also macht gefälligst das, was wir euch sagen!

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Fatah, ursprünglich ein Bestandteil der Widerstandsbewegung, drauf und dran ist sich zu einem Kollaborateur-Regime im Dienste Israels und der USA zu entwickeln, ja sich über weite Strecken bereits zu einem solchen entwickelt hat. Die Interpretation des Abzugs Israels aus dem Gazastreifen als Beginn des bevorstehenden Rückzugs Israels aus den im Jahre 1967 besetzten Gebieten auf alleinigen Druck der USA macht eine palästinensische Widerstandsbewegung natürlich überflüssig, wenn nicht sogar kontraproduktiv. Damit ist die Fatah zum Gegner der Intifada geworden, die ein Interesse an ihrem Ende hat und damit genau die Rolle erfüllt, die ihr von Israel und den USA zugedacht worden ist.

Politisch haben sich die Fatah-Funktionäre völlig von der Basis entfernt. Die Korruption, schon in der Vergangenheit noch zu Zeiten Arafats der große Makel, treibt bisher ungeahnte Blüten, als deren vorläufige Spitze der Zementskandal gelten kann. Doch nicht nur Spitzenpolitiker sind davon erfasst, bis in mittlere Funktionärsschichten hinein lässt sich Korruption, Bestechlichkeit und Nepotismus nachweisen. Immer mehr bildet sich in den Reihen der Fatah eine Schicht von Profiteuren und korrupten Neureichen heraus, die aus ihrer Vermittlerstellung zwischen der Besatzungsmacht und der Bevölkerung Profit zieht, und es werden immer mehr, die am Kuchen der Macht mitnaschen wollen. Und genau hier scheint die Rechnung der USA (und Israels) vorläufig aufzugehen, eine Regierungspartei soll durch und durch korrumpiert werden um "lateinamerikanische Zustände" herstellen zu können. Dem stehen allerdings zwei an und für sich gegensätzliche Kräfte im Wege, die linke, in Teilen marxistische PFLP und der politische Islam in der Gestalt der HAMAS.

Der Zementskandal

Der Bau der Apartheid-Mauer stellte Israel mit einem Mal vor das Problem die großen zusätzlich benötigten Mengen an Zement nicht im eigenen Land erzeugen zu können. Bald war eine Erzeugungsstätte in Ägypten gefunden, die bereit war Israel zu günstigen finanziellen Bedingungen – billig sollte das Ganze ja sein, also kam teurer Zement aus Europa oder den USA nicht zuletzt wegen der langen Transportwege nicht in Frage – die zusätzlich benötigte Menge an Zement zu liefern. Wenn der entsprechende Profit winkt, wird eben einer gewissen Gruppe von Menschen das Wort Solidarität mit den arabischen Brüdern zum Fremdwort. Nicht so einer Gruppe von Aktivisten in Ägypten, die von dem unsauberen Deal Wind bekam und die Sache an die Öffentlichkeit brachte. In der Öffentlichkeit war man entrüstet und der Deal war damit geplatzt.

Aber nur anscheinend, denn wo der entsprechende Profit winkt wird eine bestimmte Sorte von Menschen erfinderisch, sehr erfinderisch sogar! So fanden Israel und die ägyptische Firma rasch einen Gleichgesinnten in der Person des palästinensischen Premierministers Ahmed Korei. Der besitzt eine Baufirma in Abu Dis. Dazu muss man wissen, dass Abu Dis ein palästinensischer Vorort im Osten von Jerusalem ist, der durch den Mauerbau besonders stark gelitten hat. Die direkt nach Jerusalem führende Hauptstrasse des Ortes wird abrupt durch die 8 Meter hohe Mauer gesperrt und der früher tägliche Weg nach Jerusalem wird von einem auf den anderen Tag verunmöglicht. Wie eine Schlange windet sich die Mauer direkt um die Häuser herum und stielt so den Bewohnern auch noch ihre kärglichen Gärten, in denen sie das zum Überleben notwendige Obst und Gemüse gezogen hatten. Es gibt wohl keinen Ort in der Westbank, nicht einmal in Qalqilya, wo die Mauer so bedrohlich und so erdrückend empfunden wird wie in Abu Dis. Und genau hier hat Ahmed Korei seine Baufirma und genau hier machte er "das Geschäft seines Lebens".

Israel und die Firma in Ägypten suchten also einen möglichst unauffälligen Mann, über den sie ihren unsauberen Deal doch noch abwickeln konnten, und Ahmed Korei stellte sich zur Verfügung. Er kaufte für seine Baufirma den Zement aus Ägypten und verkaufte ihn nach Israel weiter. Und Israel konnte wie beabsichtigt seine Mauer in gleichem Tempo weiterbauen.

Die Sache flog natürlich auf und in jedem anderen Land –auch in Israel – hätte ein solcher Premierminister sofort seinen Hut nehmen müssen, ja woanders wäre er sogar mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt worden. Nicht so in einem von der Fatah geführten Land! Der PNC (Palestinian National Council, die Autonomiebehörde), in der die Fatah die Mehrheit besitzt, hat über diese Ungeheuerlichkeit debattiert und kam mehrheitlich zum Schluss, dass es erwiesen ist, dass Korei von Ägypten Zement gekauft hat und es auch erwiesen ist, dass er diesen Zement an Israel weiterverkauft hat, dass es aber nicht erwiesen ist, dass gerade dieser Zement von Israel für den Mauerbau verwendet wurde. Korei ist nach wie vor im Amt.

Nun ist es doch völlig gleichgültig, was genau mit jedem einzelnen Zementsack geschehen ist, ob er zum Mauerbau oder für den Bau neuer Siedlungen auf enteignetem palästinensischen Land oder sonst wo verwendet wurde. Es zählt einzig und allein die zusätzlich benötigte Gesamtmenge an Zement, die Israel, bedingt durch den Mauerbau, nicht selbst erzeugen kann und somit aus dem Ausland importieren musste, und so sieht das auch die palästinensische Bevölkerung. Dass sie damit auch noch das letzte Vertrauen verloren hat und "die an der Spitze" nur mehr als korruptes Pack empfindet, ist allzu verständlich.

Gerhard Drexler
12. September 2005

Gerhard Drexler lebt in Wien und hat an der internationalen Solidaritätsdelegation "Risse in der Mauer" teilgenommen.