Jordanien: Die Lektion der Revolution nicht verstanden

01.03.2011
Überlegungen zu den Lehren aus den Revolutionen in Tunesien und Ägypten - Zur Situation in Jordanien
Von Hisham Bustani
Es scheint, als hätten die Intellektuellen und Oppositionseliten sowohl in Jordanien als auch insgesamt im arabischen Raum die Lektionen der tunesischen und ägyptischen Revolutionen nicht gelernt, was die große Kluft zwischen diesen Eliten und dem „Volk“, das sie immer gefeiert haben, zeigt.

Beispielsweise haben diese Eliten nie eine revolutionäre Theorie vertreten oder zur Verfügung gestellt, wie dies bei der französischen (1789) und russischen (1917) Revolution der Fall war.

Die Eliten sind auch daran gescheitert, irgendeinen organisatorischen Hebel zu bilden, der den Zustand des stillen Protests in eine offene, totale Explosion umwandeln würde: In Tunesien und Ägypten fand der Übergang von der Stille zur Explosion größtenteils subjektiv statt, während die Hebel vollständig subjektiv waren.

Diese Eliten sind selbst daran gescheitert, das Potential der Menschen vorherzusehen oder auch nur zu analysieren, die Bewegungsabläufe, Toleranzgrenze, den Punkt der Explosion, die Faktoren, die zum Punkt ohne Umkehr führten.

Niemand hat die Ereignisse von Tunis vorhergesagt. Als Muhammad Bu-Azizi sich am 17. Dezember 2010 anzündete und damit die Sidi Bu-Zeid Proteste auslöste, hat selbst der optimistischste Analytiker nicht damit gerechnet, dass sich die Ereignisse so dramatisch überschlagen würden. Der diktatorische Präsident floh und sein Regime fiel am 14. Januar 2011, nach weniger als einem Monat. Dasselbe gilt auch für Ägypten, wo die Proteste am 25. Januar begannen und am Freitag (drei Tage später) die Revolution vollends in Fahrt kam, mit dem Ergebnis, dass auch hier in weniger als einem Monat am 11. Februar das Regime gestürzt wurde.

Die Hauptleistung einiger Eliten in Tunesien und Ägypten bestand darin, dass sie ihre Stimme für die Notwendigkeit der vollständigen, umfassende Entfernung der herrschenden Regimes erhoben und diese Regimes (mit all ihren Vertretern, Säulen, Institutionen und Werken) als illegitim erklärten. Deshalb gab es in beiden Ländern eine verbotene Opposition und eine Opposition im Exil. Während die offiziell zugelassene Opposition von „Reform“ sprach, bestand die radikale Opposition auf das „Ändern des Regimes und Vertreiben des Tyrannen“. Diese Forderung mag den Auftakt für die Menschen geliefert haben, ihre Angst zu verlieren und ab einem entscheidenden Punkt das ganze Regime vom Kopf (Präsident/Staatsoberhaupt) bis zum Fuß (herrschende Partei/Einflussreiche Kamarilla/Regierungsinstitutionen) abzulehnen.

Die Lehren von Tunesien und Ägypten können in den neun folgenden Punkten zusammengefasst werden:

1- Die arabischen Völker sind nicht „tot”, wie zuvor angenommen, belastet von vielen Jahrzehnten ohne große Volksaufstände. Ein altes Erbe der Unterwürfigkeit wurde durch die massiven sozialen Revolutionen abgeworfen, ebenso der Kurs einer von Volksrevolten freien arabischen Geschichte.

2- Völker, selbst unter Abwesenheit einer vorher gegründeten, intellektuellen, treibenden Kraft, sind imstande ein ganzes herrschendes Regime zu Fall bringen, wenn ein bestimmter „Bruchpunkt“ erreicht wurde. (I)

3- Völker sind den Intellektuellen, sowohl der offiziellen wie auch „alternativen” (radikaleren) Oppositionen voraus und politisch progressiver.

4- Völker sind kein politisches Behältnis für irgendjemanden, insbesondere jene, die behaupten „das Volk zu repräsentieren.“

5- Die wachsende Kluft zwischen der herrschenden Klasse und ihrer Wirtschaftselite auf der einen, den Rest des Volkes auf der anderen Seite – mit der folgenden Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Armut, Arbeitslosigkeit, Korruption, Rechtsverletzungen – sind der Hauptmotor für die Revolution.

6- Ein revolutionärer Diskurs steht in vollkommenem Gegensatz zu einem reformistischen. Diese grundsätzliche Tatsache wird von Intellektuellen und den Eliten der Opposition immer ignoriert. Gibt es Reformen, so gibt es keine Revolution, weil Reformen zur Eindämmung sozialer Brände gemacht werden und sie die Löcher verputzen sollen, die von Korruption, Ausbeutung und Abhängigkeit geschlagen werden. Jeder Versuch, soziale Aussöhnung durch „Reformen“ und „Regierungsbeteiligung“ zu erreichen, bedeutet, das Leben eines korrupten Regimes zu verlängern und den Status quo beizubehalten. Der nicht vorhandene Einfluss einer großen reformistischen Strömung (wie der Muslimbruderschaft) in den tunesischen Straßen mag eine große Rolle bei der Reifung der bis zum Ende geführten Proteste gespielt haben. Das gilt genauso für die ägyptische Revolution, die abseits von der Muslimbruderschaft begann und sich außerhalb ihres Einflusses entwickelte.

7- Die arabische Kultursphäre ist bisher nicht in der Lage gewesen, Theorien zu entwickeln, mit denen die Volksbewegungen vorhergesagt, katalysiert oder analysiert werden können; arabische Intellektuelle waren bisher nicht in der Lage, der Volksbewegung zu folgen oder sie nach ihren Anfängen zu analysieren. Arabische Intellektuelle sind auf skandalöse Weise abhängig von den Regimes. Sie müssen die Seite wechseln.

8- Erfolgreiche revolutionäre Massenbewegungen haben keine spalterischen Vorläufer (religiös, ethnisch, regional oder sektiererisch). Sie entspringen Forderungen, welche vereinen und alle Spaltungen ersetzen.

9- Die Hauptaufgabe von Intellektuellen und Oppositionseliten ist es, die Mauer der Angst zu durchbrechen, offen Korruption, Tyrannei und Unterwerfung bloß zustellen und die Optionen zur Verstärkung der Klassengegensätze zu übernehmen.

Die Bewegung in Jordanien

In Jordanien scheint niemand die Lektionen von Tunesien und Ägypten gelernt zu haben. Die offizielle Opposition (die legalisierten Oppositionsparteien und die Berufsverbände) versuchen noch immer schwache reformistische Entscheidungen zu vertreten, die ihren seit 1989 zum Scheitern verurteilten Kurs fortführen (1989: das Jahr, in dem der Ausnahmezustand aufgehoben und der Beginn der „demokratischen Ära“ erklärt wurde). Diese Opposition (die allen offiziellen Oppositionen in der arabischen Welt ähnelt) wurde in den letzten zwei Jahrzehnten stark kritisiert, sodass hier keine Notwendigkeit besteht näher darauf einzugehen.

Die „alternative” Opposition hat sich selbst zur fähigen Option erklärt, die das politische Vakuum füllen könnte, ist aber nicht viel besser: Sie hat einen „östlich-jordanischen“, isolierenden Charakter (1); gründet sich auf eine postkoloniale Identität, die keinen internen Konsens aufweist (2); ähnelt der Identitätspropaganda der politischen Autorität („Jordanien zuerst“, und „wir sind alle Jordanier“, beides vom Regime gesponserte PR-Kampagnen zum Aufbau einer „jordanischen nationalen Identität“). (3)

Es ist bemerkenswert, dass diese „alternative Opposition” über enge Verbindungen zur „alten Garde” verfügt, einer der zwei rivalisierenden „Flügel“ des jordanischen Regimes, der teilweise marginalisiert wurde, als der junge König Abdullah II die Krone empfing und einen „Flügel“ der herrschenden Klasse einführte, der aus jungen Wirtschaftsleuten (vor Ort „die Neoliberalen“ genannt) besteht. Die „alte Garde“ ist nicht weniger „neoliberal“, schließlich hat sie mit den Reformen des Internationalen Währungsfonds, der Privatisierungspolitik und dem Rückzug des Staates von seinen sozialen Aufgaben angefangen.

Von den auf ihrem Höhepunkt angelangten Protesten in Tunesien beeinflusst, ist der erste „Tag des Zorns” in Jordanien (von der „alternativen Opposition” ausgerufen) am Freitag dem 14. Januar 2011 mit einer bescheidenen Menge von 500 Menschen abgehalten worden. Die offizielle Opposition boykottierte ihre Teilnahme an der Protestveranstaltung, doch als die tunesische Revolution sich als erfolgreich herausstellte, beteiligte sie sich am nächsten Freitag, dem 21. Januar 2011, und ließ die Teilnehmerzahlen auf 10.000 steigen. Am dritten Freitag (28. Januar) sank die Teilnehmerzahl, am vierten Freitag (4. Februar) teilte sich die Menge: Ein Teil sammelte sich auf dem gewohnten Platz in der Innenstadt, der andere Meilen entfernt vor dem Büro des Premierministers. Die Spaltung wird das „isolationistische“ Element in den Oppositionskräften vermutlich bestärken. In der Hauptforderung der „alternativen Opposition“ (später von der offiziellen Opposition übernommen) wird das deutlich: Die Ersetzung des Premierministers Sameer al-Rifa’i (der später als erwartet entlassen wurde) und die Bildung einer Regierung der „nationalen Einheit“.

Wer sind die Hauptträger dieser „alternativen Opposition”?

Die wichtigen Elemente sind:
Die Jordanische Sozialistische Linke Bewegung, die Jordanische Nationalinitiative, die Nationale Progressive Bewegung, das Nationalkomitee der Militärveteranen, der jordanische Schriftstellerverband, die Nationalistische Progressive Bewegung, sowie sehr kleine Gruppen wie: Der Demokratische Jugendverband, die Philosophengesellschaft, das Sozialistische Denkerforum, die Versammlung der Tscherkessen-Jugend und der Verband gegen Zionismus und Rassismus.

Diese Gruppen bilden (mit Ausnahme der Nationalen Progressiven Bewegung, dem Nationalkomitee der Militärveteranen und der Nationalistischen Progressiven Bewegung) die so genannte „Bewegung des jordanischen Volkes“; und all diese Gruppen (ohne Ausnahme) bilden die „Jordanische Kampagne für Veränderung – Jayeen“, und stehen sich auf der Ebene der Koordination politisch nahe.

Ein paar kurze Bemerkungen zum Überblick zu den Komponenten der Bewegung zeigt, was sie wirklich repräsentieren: Nahed Hatter, der gegenwärtige Vorsitzende der Nationalen Progressiven Bewegung, früherer Führer der Jordanischen Sozialistischen Linken Bewegung und eine der Hauptfiguren der „alternativen Opposition“, schrieb einen Artikel, in dem er verriet, mehrere „lange Brainstorming-Treffen“ mit dem Chef des Generalgeheimdienstbüros gehabt zu haben (4). Er schrieb auch in der libanesischen Zeitung al-Akhbar einen Artikel, in dem er diesen Chef verteidigte, nach dem er seine Position aufgegeben hatte. In beiden Artikeln bescheinigt er ihm, „ein Symbol der jordanischen Nationalbewegung“ zu sein (5). Omar Shaheen, derzeitiger Vorsitzender der Jordanischen Sozialistischen Linken Bewegung, schrieb über diese Treffen, dass sie mit der Zustimmung und dem Segen der Bewegung stattgefunden hätten (6). Mehr noch, Hattar und die Jordanische Sozialistische Linke Bewegung waren unter den Ersten, welche die isolationistische post-koloniale Identität auf theoretischer Grundlage als rechtmäßig vertreten haben, auf die eine nationale Befreiungsbewegung gründen könne (7).

Diese Vision wird von der Jordanischen Nationalinitiative geteilt (8), die in ihrer veröffentlichten Literatur (9) zu einer „vollständigen jordanischen Identität“ aufruft und die Gründung einer von der palästinensischen getrennten jordanischen Nationalbewegung fordert. Sie geht mit der „jordanischen Gesellschaft“ als einem von der „palästinensischen Gesellschaft“ getrennten, isolierten Gebilde um, die gemeinsame Interessen teilen. Die erste Version auf der Internetseite der Jordanischen Nationalinitiative war mit „Jordanien zuerst“ und „Wir sind alle Jordanier“ -Symbolen verziert.

Der Jordanische Schriftstellerverband ist einer der größten Empfänger von Regierungsgeldern durch das Kulturministerium und die Stadtverwaltung von Amman. Die meisten seiner Führer und Prominenten sind entweder vom Regierungsapparat für Kultur und Medien angestellt oder erhalten verschiedene Vergünstigungen durch ihn.

Die Führer der Nationalen Progressiven Bewegung beteiligten sich an den letzten, weitgehend boykottierten Parlamentswahlen, die als Fortsetzung der Aufspaltung der jordanischen Sozialstruktur in Clans, Familien und Regionen galten. Die Wahlen und Wahlgesetze wurden auch als Knock-out jeder Reformmöglichkeit angesehen (10).

Ein anderer wichtiger Aspekt ist der, dass viele dieser Gruppen nur verschiedene Adressen derselben Leute sind. Es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass die Jordanische Nationalinitiative, der Jordanische Schriftstellerverband, das Sozialistische Denkerforum, die Philosophengesellschaft und die Versammlung der Tscherkessen-Jugend unterschiedliche Gesichter derselben Leute sind, die vor allem in der Jordanischen Nationalinitiative organisiert sind, eng gefolgt vom Demokratischen Jugendverband und der Jordanischen Sozialistischen Linken Bewegung.

Niemand arbeitete ernsthaft daran, das palästinensische Flüchtlingslager an der Initiative der “Tage des Zorns” zu beteiligen. Als sich ein einziges Mal ein Flüchtlingslager bescheiden beteiligte (al-Baq’a Lager am ersten „Tag des Zorns“), wurde es vom Protestaufruf der Jordanischen Nationalinitiative missachtet, indem alle Orte außer dem Flüchtlingslager genannt wurden (11). Unterdessen sehen einige Organisationen in der Jayeen Koalition die Palästinenser als Reservoir für den Neoliberalismus und stellen sie in einen Konflikt mit den Ost-Jordaniern.

Wie bereits gesagt liegen die Hauptprobleme dieser Opposition in ihrer Hauptforderung, die dann von der offiziellen Opposition übernommen wurde: Die Entfernung der Sameer al-Rifa’i-Regierung und die Bildung einer Regierung der „nationalen Einheit“.
Es ist in Jordanien bekannt, dass Minister „Führungskräfte“ sind; sie sind nicht Leute, die Politik und Strategien entwickeln. Eine Auswechslung von Ministern zu fordern, wird auf der strategischen Ebene nichts bewirken und muss als subtiler Versuch derer gelten, die Änderungen fordern um die Leute zu ersetzen, die sie absetzen wollen.

Niemand diskutiert die Legitimität der politischen Obrigkeit in Jordanien, im Gegenteil: Sowohl die offizielle wie die alternative Opposition sieht den Kopf der politischen Autorität als eine Art moderierenden Weisen an, obwohl er – konstitutionell – der Kopf dreier Autoritäten ist. Beide Oppositionen rufen zu „einer Veränderung der Politik, nicht einer Veränderung des Regimes“ (12) auf: Die Muslimbruderschaft erklärt dass: „die Islamisten in Jordanien rufen zu Reformen, keiner Veränderung auf. Wir anerkennen die Legitimität des Regimes.“ (13), während die Jordanische Kampagne für Veränderung, die alle alternativen Oppositionsgruppen umfasst, erklärt hat, dass „der König die einzige Konstante in der jordanischen Politik“ ist und seine konstitutionelle Immunität betont (14).

Es geschah, was erwartet wurde: Die al-Rifa’i-Regierung wurde entlassen und ein Vertreter der alten Garde, Ma’rouf al-Bakheet, ehemaliger General und früherer Botschafter in Israel, wurde Premierminister. Ebenso gab es, wie erwartet, eine Erleichterung in beiden Oppositionszirkeln. Das Nationalkomitee der Militärveteranen und die Führung der Nationalen Progressiven Bewegung hießen den neuen Premierminister deutlich willkommen (15). Der Sprecher der Jordanischen Kampagne für Veränderung (Jayeen) beschrieb seine Amtseinführung als „Schritt in die richtige Richtung“ (16), während Mahdi al-Sa’afin (ein junger Führer sowohl in Jayeen als auch der Jordanischen Sozialistischen Linken) erklärte, dass „die Jordanische Kampagne für Veränderung dem neuen Premier eine Chance geben wird das Reformprogramm umzusetzen“ (17). Auf der offiziellen Oppositionsfront „verschwanden die früheren Slogans für die Entfernung der Regierung“ (18) von dem Sit-In der Islamisten und anderer legaler Parteien während sie erklärten der al-Bakheet Regierung eine „Testphase“ (19) zu geben.

Denken die Teilnehmer an den jordanischen „Tagen des Zorns“ mit der Absetzung eines Ministers oder Premierministers, oder einer Art Regierungsumbildung genug erreicht zu haben um wirtschaftliche/soziale/politische Veränderungen in dem Land zu bewirken? Erinnern sie sich an die breite Kampagne gegen den früheren Planungsminister Basem Awadallah, der als einziger und hauptsächlicher Grund für die Wirtschaftskrise und Korruption in Jordanien hingestellt wurde? Awadallah wurde gefeuert, aber nichts hat sich verändert, die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich weiter, die Preise schossen weiter in die Höhe usw. Später wurde Samer al-Rifa’i, der junge Newcomer der Regierung aus der Wirtschaft, als Verantwortlicher für Jahrzehnte der Korruption dämonisiert. Seine Entfernung wurde (wie Awadallahs Absetzung) als magische Lösung für alles dargestellt. Man kann nicht übersehen, dass diese Prozesse der Dämonisierung die isolationistische Tendenz der alternativen Opposition anzeigen. Der Anwesenheit zahlreicher einflussreicher „Neoliberaler“ zum Trotz sind die zur Dämonisierung ausgewählten Personen immer palästinensischer Herkunft oder nicht mit den großen Familienclans aus Ostjordanien verwandt. In einer unvorhergesehenen jüngeren Entwicklung wurde Königin Rania (palästinensischer Herkunft) von Clanchefs gezielt als Symbol der Korruption angegriffen und mit Laila Tarabulsi, der Frau des gestürzten tunesischen Diktators Ben Ali, verglichen (20).

Erhielte sie die Befugnis, eine Regierung zu bilden – glaubt die alternative Opposition Jordanien, das stark von Auslandshilfe abhängig ist und leicht wie der Gazastreifen stranguliert werden kann, aus der Abhängigkeit in einen souveränen und unabhängigen Staat verwandeln zu können?

Innerhalb der bestehenden Formeln wird jeder, der auf einer lokalen „nationalen” Agenda gründend in die Regierung geht, nur eine von zwei Möglichkeiten wählen können: Zurückzutreten oder „mit der Realität umzugehen”. Die Realität des postkolonialen Staates und der sich aus ihr ergebenden Identität ist eingebaut in Unterwürfigkeit, Korruption und Funktionalität. Eine Regierung zu bilden oder einer beizutreten, ist der erste Schritt des Beitritts zu Regeln und Mechanismen, die von der politischen Obrigkeit geschaffen wurden und denen man sich unmöglich entziehen kann.

Wir sollten nicht vergessen, dass die politische Obrigkeit unter der Hand des früheren Königs Hussein den einzigartigen Charakter, Opposition aufzusaugen, hatte. Sie vereinnahmte sogar jene, die Putsche gegen ihn versucht hatten, wandelte sie in Minister, Botschafter und selbst Geheimdienstchefs um. Die Eingemeindung der Opposition war eine wichtige Säule, die während der neuen Herrschaft schwand, als den jungen Wirtschaftsleuten neue Prioritäten entgegengebracht wurden, die nur dem Profit gegenüber loyal sind und sich aus jeder regionalen oder Clan-basierten Zugehörigkeit ausgeklinkt haben.
Dementsprechend gründete die politische Obrigkeit in Jordanien eine Klassenidentität, während die Opposition die Klassengegensätze durch ihre Bemühungen, sich der Regimestruktur anzuschließen, verwässert. Die Opposition versucht die alte Garde zurückzudrängen mitsamt der Persönlichkeiten, die die herrschende Elite mit den traditionellen Bestandteilen der Gesellschaft verbindet.
Das wird die sichtbar werdende Klassenstruktur verdecken und Spannungen zwischen den Klassen auflösen, was zur Langlebigkeit von Korruption und Unterwerfung führt. Die Forderung nach einer Regierung der „nationalen Einheit“ zeigt den Wunsch der von den Machtstrukturen Ausgeschlossenen, ihre Positionen in ihr zurückzuerlangen und ihren Teil vom Kuchen abzukriegen. Es zeigt mit Sicherheit keinen Wunsch nach „umfassender Veränderung“ an, der gereift wäre, wären sie außerhalb der Machtstrukturen geblieben.

Zusammenfassend: Der „alternativen Opposition” mangelt es an der grundsätzlichen Notwendigkeit, von der politischen Autorität unabhängig zu sein; und sie übernimmt den isolationistischen Diskurs auf der Ebene der Identität und in der Frage, wie weitgefasst Befreiung gemeint ist, wandelt diesen Diskurs in einen um der jeden echten Versuch, den Klassenkonflikt reifen zu lassen, unterbricht und verwässert.

Doch die Lektionen von Tunesien und Ägypten sind auf ein offenes Ohr gestoßen – das der politischen Autorität! Sie führten aufgehobene Subventionen für Grundnahrungsmittel wieder ein (21), kündigten eine Steigerung des Monatslohns von Angestellten im öffentlichen Dienst an (22), luden Oppositionsführer in staatliche Fernsehstationen ein (23) und verboten weder die Demonstrationen am „Tag des Zorns“ noch die Genehmigungsanfragen dafür (24). Es gab keine Polizeipräsenz während der Demonstrationen, tatsächlich verteilten einige Polizisten Saft und Wasser an die Demonstranten (25).

Das Regime in Jordanien hat die Lektionen aus Tunesien und Ägypten verstanden. Die Opposition – nicht wirklich!
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(I) Volk im sozialantagonistischen Sinn Volk vs. Eliten/Machthaber

(1) The Jordanian social mass is composed of two large segments: half of the population (3 million) is of Palestinian origin. A divide has been carefully drawn by political authority to separate “east Jordanians” (those from a Jordanian origin) from “Palestinians” (those from a Palestinian origin). There exist two football teams in the primary league representing this official division.
(2) The division of “Bilad al-Sham” (now Syria, Lebanon, Palestine, Jordan) was made by the French-British colonialist powers. Before this division, the region was a united socioeconomic space. The resulting “states” and corresponding “national identities” are designed to be vacant of any liberation potential and devoid of any true independence. See: Hisham Bustani, The Deleted Memory: ‘Inventing’ Palestine and ‘Discovering’ Lebanon, http://www.nodo50.org/csca/agenda05/misc/bustani_2-09-05.html, and Joseph Massad, Colonial Effects: The Making of National Identity in Jordan, New York: Columbia University Press, 2001.
(3) Curtis Ryan, ‘We Are All Jordan’…But Who is We?, Middle East Report Online, http://merip.org/mero/mero071310.html, and Marc Lynch, No Jordan Option, Middle East Report Online, http://www.merip.org/mero/mero062104.html.
(4) Nahed Hattar, Farwell to al-Thahabi: A Strategic Mind that Leads the Intelligence and Changes its Picture (in Arabic), www.allofjo.net, 29/12/2008. Archived by the writer (this article has been removed from the website).
(5) Nahed Hattar, A Jordanian Phenomenon: The Director of Intelligence as a Citizen and a Political Activist (in Arabic), al-Akhbar newspaper (Lebanon), 3/2/2009.
(6) Omar Shaheen, What Brought Nahed Hattar and the Director of the Intelligence Together (in Arabic), www.joleft.net, 31/12/2008, Archived by the writer (this article has been removed from the website).
(7) Hisham Bustani, The Isolationist Illusions of the Jordanian Social Left (in Arabic), Kan’an e-Bulliten, issue 1583, 2/7/2008, http://www.kanaanonline.org/articles/01583.pdf
(8) A distinction must be made here for the foreign reader between the term “National” (in Arabic ‘watani’) related to the national identities of the colonially-manufactured current Arab states, and the term “Nationalist” (in Arabic ‘qawmi’) related to a pre-colonial pan-Arab identity.
(9) The Jordanian National Initiative, Theoretical Basis: Studies and Articles (in Arabic), Amman, 2009.
(10) Jillian Schwedler and Josh Sowalsky, Jordan’s Boycott and Tomato Woes, Foreign Policy, November 7, 2010, http://mideast.foreignpolicy.com/posts/2010/11/07/jordan_s_boycott_and_t....
(11) http://www.almubadara-jo.org/2010-05-04-05-32-03/129-2011-01-12-21-54-33....
(12) Oaraib al-Rintawi, Change and the Three Stratas of the Regime (in Arabic), ad-Dustour newspaper (Jordan), 2/2/2011.
(13) Hadeel Ghabboun, Islamists Call for a Change of Government (in Arabic), al-Ghad newspaper (Jordan), 1/2/2011.
(14) Ruba Karasneh, ‘Jayeen’ holds Marches Next Friday in Amman (in Arabic), al-Arab al-Yawm newspaper, 2/2/2011.
(15) Abdel Nasser al-Zo’bi, “Will the Assigned PM Fulfill the Requests and Aspirations of the Jordanian Popular Groups? (in Arabic), 2/2/2011, http://www.allofjo.net/index.php?option=com_content&view=article&id=8429
(16) Muhammad al-Najjar, The Assigning of al-Bakheet Between Acceptance and Refusal (in Arabic), al-Jazeera Net, 1/2/2011, http://www.aljazeera.net/NR/exeres/88A32052-ECDD-4E38-876C-5F63E8F94D72.htm
(17) Hadeel Gabboun, Marches Demand Total Reform (in Arabic), al-Ghad newspaper (Jordan), 5/2/2011.
(18) Ibid.
(19) Majed Toubeh, The Royal Meeting with the Leaders of the Islamic Movement Marks a Period of Political Openness that Increases the Opposition’s Optimism (in Arabic), al-Ghad newspaper (Jordan), 7/2/2011.
(20) http://www.guardian.co.uk/world/2011/feb/15/bedouin-accuse-jordan-queen-....
(21) Jumana Gneimat, Playing in the Extra Time (in Arabic), al-Ghad newspaper (Jordan), 23/1/2011.
(22) Mahmud Tarawneh, Twenty-dinar Raise by the end of this Month (in Arabic), al-Ghad newspaper, 23/1/2011.
(23) Ahmad abu-Khalil, On the Appearance of the Minister and the Sheikh (in Arabic), al-Arab al-Yawm newspaper (Jordan), 22/1/2011.
(24) Jumana Gneimat, ibid.
(25) Al-Ghad newspaper (Jordan) 17/1/2011 and 29/1/2011, al-Arab al-Yawm newspaper (Jordan) 22/1/2011.

Verweise