Ein Tahrir-Aktivist in Österreich

26.11.2011
Die ägyptische Revolution macht ihren zweiten Anlauf
von Wilhelm Langthaler
Auf Einladung des Österreichisch-Arabischen Kulturzentrums (OKAZ) besuchte ein prominenter Aktivist und zentrale politische Figur der revolutionären Bewegung, Mohamed Wakid, Österreich. Er sprach nicht nur in Wien, sondern auch in Graz auf Einladung des lokalen Afro-Asiatischen Instituts. Die Veranstaltungen fanden just zu jenem Zeitpunkt statt, an dem die neuen Proteste gegen die Herrschaft des Militärrates zu eskalieren begannen. Mohamed Wakid brach in der Folge seine anschließende Vortragsreise in Deutschland vorzeitig ab, um ins Zentrum der arabischen Revolution zurückzukehren.
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Erstaunt waren die Zuhörer darüber, welche Farce laut Wakid die Parlamentswahlen eigentlich darstellen, sowohl hinsichtlich der extrem beschränkten Kompetenzen des Parlaments als auch betreffend das Wahlsystem.

Einzige wirkliche Funktion des Parlaments ist die Beschickung einer verfassungsgebenden Versammlung. Mit dieser Konstruktion hatten sich die Militärs bereits im Frühjahr gegen einen Volkswahl der Konstituante gesichert – mit Unterstützung der Moslembrüder. Bei der Gesetzgebung hat das letzte Wort immer der Militärrat. Hinzu kommt, dass die Armeeführung an einer „überkonstitutionellen Erklärung“ arbeitet, die ihre Macht verewigen. Man könnte das einen kalten Putsch nennen. Die gegenwärtige Bewegung richtet sich auch gegen diese zunehmend autoritären Tendenzen, die das System Mubarak zu reproduzieren versuchen.

Grotesk ist auch das Wahlsystem, namentlich aus fünf Gründen:

1) Ein Drittel der Sitze wird nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben. Da haben im städtischen Bereich nur die Muslimbrüder und der eine oder andere Salafit Chancen, im ländlichen Bereich sind es gewendete Mubarak-Notablen oder – um Wandel zu signalisieren – ihre Söhne.

2) Zwei Drittel der Sitze werden über Listen vergeben, auf denen jeweils maximal zehn Plätze zu besetzen sind. Das bedeutet eine Mindestschwelle von 10%. In den meisten Fällen sind es aber weniger Sitze, also eine noch höhere Schwelle. Dieses System zwingt zu absurden Wahlallianzen, wo Muslimbrüder mit Exkommunisten und Ultrasäkularisten in einem Block kandidieren, um nur ein Beispiel zu nennen.

3) Der Registrierung von Parteien sind solch hohe Hürden gesetzt worden, dass sie ohne die finanzielle Unterstützung des big business oder der Armee nicht zu nehmen sind.

4) Ein gewisser Teil der Abgeordneten wird direkt und ohne Wahl von der Heeresführung ernannt.

5) Bevölkerungsarme und ländliche Regionen sind stark überrepräsentiert. Dadurch, dass zu ihnen die Revolution noch nicht vorgedrungen ist, sichern sie den alten Mubarak-Leuten den Einzug ins Parlament.

Ergebnis der Sache ist, dass die revolutionäre Tahrir-Bewegung, die einen der drei politischen Machtpole des Landes darstellt, im Parlament nicht selbständig vertreten sein wird. Die einzige Möglichkeit: Kandidaten auf anderen, systemnahen Blöcken zu platzieren. Das zwingt gewünschter Weise zum Opportunismus und bringt andererseits nur Alibi-Abgeordnete.

Aus all diesen Gründen sagt die revolutionäre Bewegung, dass es besser ist, wenn zuerst der Militärrat geht und dann erst Wahlen abgehalten werden. Die Linke tendiert daher zum Wahlboykott und hat in diesem Kontext die zweite Tahrir-Revolution von Mitte November getragen.

Sie stehen damit im Gegensatz zu den Moslembrüdern, die alles auf die Wahlen setzen. Sie rechnen mit einem großen Erfolg, der ihre politische Position trotz der konstitutionellen Kastration des Parlaments stärk. Die gegenwärtige Tahrir-Bewegung ist ihnen en Dorn im Auge und sie streben nach Demobilisierung. Zweitweise drohten sie sogar mit der eigenhändigen Räumung des Tahrir durch ihre Leute.

Abschließend schätzte Mohamed Wakid ein, dass das Kräftedreieck a) Militär-altes Regime-big business b) islamischer Block aus Muslimbrüdern und Salafiten und c) Tahrir-Bewegung, Linke und Linksliberale nach wie vor Intakt ist und trotz Verschiebungen noch einige Zeit das politische System des arabischen Landes am Nil bestimmen wird. Nach dem Umsturz war es zum Block zwischen den Militärs und den Muslimbrüdern gekommen, die sich zwar gegenseitig auszutricksen hofften aber dennoch gemeinsam den Tahrir aus der Welt zu schaffen versuchten. Dieser Versuch ist definitiv gescheitert und die verhängnisvolle Allianz aufgebrochen.

Der Vulkan der ägyptischen Revolution brodelt noch. Er wird die nächsten Jahre immer wieder ausbrechen.

Verweise