Euro-Rettung: Deutsche Ultraliberale geschlagen, Bevölkerung bezahlt

02.10.2012
Von Stefan Hirsch
Ohne Limit wird die Notenbank Staatsanleihen aufkaufen: Die EZB holt den Vorschlaghammer heraus und hat den Zerfall der Euro-Zone bis auf weiteres aufgehalten. Es ist der große Kompromiss zwischen den Notenbankern und der deutschen Bundesregierung, der sich schon seit einiger Zeit abzeichnet.

Wenn sich Länder die Hilfe des ESM beantragen, dann möchte die EZB uneingeschränkt auf dem Markt für Staatsanleihen intervenieren, um die Zinsen dort niedrig zu halten. Einmal ist das ein gigantisches Hilfspaket für die Vermögenden und das Bankensystem: Staaten werden nicht direkt von der EZB finanziert, gekauft wird auf dem Sekundärmarkt. Damit können die Besitzer der Staatsschulden ihre Bestände in beliebiger Höhe in die Bücher der EZB transferieren. Sollte es später zum Ausfall kommen, haftet die Allgemeinheit (die EZB wäre Pleite und müsste ihrerseits von den Euro-Mitgliedsländern aufgefangen werden). Eine unglaubliche Verstaatlichung von privaten Risiken. Auf der anderen Seite sind die Auflagen des ESM mit einer Verpflichtung zu gewaltigen Belastungspaketen und Lohnkürzungen („Strukturreformen“) verbunden. Rettung für die Banken, Spardiktat für die Bevölkerung.
Gleichzeitig ist das wohl die richtige Dosis Medizin, um den Euro für die nächste Zeit zu stabilisieren. Schon Mario Draghis Aussage am 1. August er werde „alles unternehmen“ , um den Euro zu retten, hat zu einer Entspannung bei italienischen und spanischen Staatsanleihen geführt. Die Ankündigung der EZB-Intervention Anfang September hat den Trend verstärkt. Ohne dass bisher ein einziger Euro eingesetzt wurde. Uneingeschränkte Mittel: Das ist ein Versprechen, das eine Finanzmarktpanik tatsächlich kontrollieren kann. Für solche Dinge hält sich die Oligarchie eine Zentralbank.

Die langfristigen Probleme sind mit dem möglichen Anleihenkauf aber keineswegs gelöst Für das erste hat die EZB die Finanzmarktpanik halbwegs unter Kontrolle – aber die Finanzmarktpanik war immer nur ein Teilaspekt (wenn auch ein wichtiger) für die Krise der Euro-Zone. Das Hauptproblem liegt in der mangelnden Konkurrenzfähigkeit Südeuropas gegenüber dem (Deutschen) Zentrum und den damit zusammenhängenden hohen aufgelaufenen Schulden.

Wenn man sich die Situation in Italien und Spanien genauer betrachtet, dann ist eine Bedienung der Schulden des Staats- und des Privatsektors nur unter der Bedingung einer halbwegs stabilen Konjunkturentwicklung möglich – auch dann, wenn Interventionen der EZB die Zinsen halbwegs unter Kontrolle halten. Und für eine halbwegs stabile Konjunkturentwicklung braucht es eine deutlich gesteigerte Konkurrenzfähigkeit, starke Exportdynamik und kräftige Investitionen in die industrielle Basis der Volkswirtschaften. Gemeinsam mit ausreichender inländischer Nachfrage. Eine solche Entwicklung ist aber nicht absehbar – im Gegenteil. Seit etwa einem Jahr werden die Konjunkturprognosen für die Peripherie ständig nach Unten revidiert.

Die bisher durchgeführten Sparmaßnahmen haben die Binnenkonjunktur ruiniert. Die sinkenden Löhne haben die Konkurrenzfähigkeit erhöht – aber immer noch nicht genug. Bei einer Arbeitslosigkeit über dem Niveau der großen Weltwirtschaftskrise und einer zusammenbrechenden Konsumnachfrage weisen Griechenland oder Spanien immer noch ein (wenn auch geschrumpftes) Defizit des Außenhandels aus. Denn zum Exportieren muss man auch verkaufen können. Solange die Oligarchie nicht bereit ist mit kräftigen Lohnsteigerungen und wenigstens vorübergehenden staatlichen Defiziten im europäischen Zentrum Nachfrage zu stimulieren, gibt es für die Peripherie kaum Licht am Ende des Tunnels. Wenn der jetzige politische Kurs der Eurozone in die Zukunft fortgeschrieben wird, dann ist der Anleihenkauf der EZB nicht nur eine Verstaatlichung privater Risiken, sondern die Verstaatlichung privater Verluste. Denn unter heutigen Bedingungen ist ein Schuldenschnitt für Spanien und Italien kaum zu vermeiden.

Wie geht es jetzt weiter? Etwas peinlich für die Linke, aber der große Gegner des neuen EZB Programms war der deutsche Ultraliberalismus rund um die FDP und die Bundesbank. Und dieser hat das Match verloren. Der Ultraliberalismus ist an seiner politischen Zwiespältigkeit gescheitert: Man will den Erhalt des Euro, ist aber nicht bereit irgendetwas zu unternehmen. Bei der entscheidenden Abstimmung war Weidmann völlig isoliert, Finnland, Österreich und die Niederlande stimmten mit Draghi für die nochmalige Rettung des Finanzsystems.
Aber die Erde dreht sich weiter. Früher oder später werden Italien und Spanien tatsächlich die Hilfe des ESM beantragen müssen. Früher oder später wird die EZB ihr Versprechen einlösen müssen und mit den Aufkäufen beginnen. Und früher oder später wird sich zeigen, dass ein verschärftes Spardiktat die Probleme verschlimmert. Was dann? Unterwirft sich die Peripherie einer sinnlosen Depression für ein Jahrzehnt oder mehr? Ist das Zentrum Europas zu einem Schuldenschnitt für den Süden bereit? Was tut die EZB, wenn ihr aus Italien mitgeteilt wird, dass man die letzten geforderten Einschnitte doch nicht mittragen kann – weil sie ohnehin sinnlos sind und die Bevölkerung nicht mehr mitspielt? Die Euro-Staaten haben ihren Einsatz jetzt noch einmal verdoppelt, finanziell und politisch. Aber wenn die Oligarchie nicht zu einer fundamentalen Wende ihrer Politik bereit ist (weg von der Standortkonkurrenz), hat sie keine Chance die Wette zu gewinnen.

Verweise