Imam vom CIA aus Österreich entführt

07/08/2006

Der Fall Abu Omar: Kooperation der
Geheimdienste der USA und Italiens

Am 17. Februar 2003 wurde ein Abu Omar
genannter moslemischer Geistlicher aus Mailand in den Stützpunkt Aviano
verschleppt und dort, wie er berichtete, gefoltert und daraufhin nach Ägypten
gebracht, wo er ebenfalls gefoltert wurde. Man hat auch Druck auf ihn ausgeübt,
mit dem ägyptischen Geheimdienst zu kollaborieren. Dies, nachdem er in Ägypten
mit Strom- und akustischer Folter "behandelt" worden war. Die
Staatsanwaltschaft in Mailand hat das ausführlich dokumentiert (1).

Abu Omar ist ein anerkannter politischer Flüchtling aus Ägypten. An der
Entführung beteiligten sich, wie in der italienischen Presse detailreich
geschildert, der italienische militärische Geheimdienst Sismi, die
Carabinieri, private contractors und last but not least, die CIA, der
Hauptakteur.
Auch ein Wiener Imam wurde verschleppt

Im selben Zeitraum verschwand auch ein in
Österreich lebender Imam, wie erst jetzt, drei Jahre später, bekannt wird.

Am Sonntag den 30. Juli berichtete der Corriere della Sera, daß zwei
Monate vor der skandalösen Entführung Abu Omars auch ein in Österreich
ansässiger Prediger namens Djamal (Gamal) al Minshawy verschwand. Sehr
wahrscheinlich wurde er ebenfalls von der CIA verschleppt. Der jetzige Imam
eben derjenigen Moschee, an der Abu Omar tätig war, gab dies in Mailand am 15.
Juni 2004, also etwa ein Jahr später, zu Protokoll (2). Es handelt sich laut Mailänder
Staatsanwaltschaft bei diesem Imam um Arman Ahmed El Hissiny Helmy,
genannt Abu Imad (1).

"Auf dem Weg nach Saudiarabien verschwand er spurlos", so die Aussage von Abu
Imad. "Niemand weiß, wo genau er entführt wurde, noch wo er sich jetzt
befindet". Noch konkreter wird Abu Imad gegenüber dem Corriere della Sera:
"Von Österreich aus hatte er sich auf eine Pilgerfahrt nach Mekka begeben. Beim
Umsteigen in Amman verschwand er spurlos." Während der in Frage kommenden
Zeitperiode fanden, wie aus europäischen Ermittlungen hervorgeht, zwischen
Jordanien und Ägypten Dutzende Geheimtransporte statt (2).
Die
Entführercrew streckt ihre Fühler auch nach Wien aus

Bei den Akten der Staatsanwalt von Mailand
befindet sich auch ein Bericht der DIGOS (4) über George (L.) Purvis. Gegen
Purvis - wobei es sich um einen Tarnnamen handeln könnte - wurde von den italienischen Behörden
Haftbefehl erlassen. Er war der operative Chef der CIA-SISMI-Aktion, bei der
Abu Omar verschleppt und außer Landes gebracht wurde. Er hielt in den
entscheidenden Phasen der Entführung mit der CIA-Zentrale in Virginia Kontakt,
seine Crew war, zusammen mit 5 SISMI-Agenten im Mailänder Luxushotel Principe
di Savoia untergebracht (2). Der vor einigen Tagen auf mysteriöse Weise ums
Leben gekommene Datenspezialist und ehemalige polizeiliche Spitzenermittler Adamo
Bove hat von technischer Seite wesentlich zur Identifizierung der Entführer
beigetragen (3).

Ein ähnliches Entführersyndikat dürfte auch in Wien observiert und operiert
haben. Purvis hat sich nämlich auch in Wien aufgehalten, berichtet die DIGOS.
Er ist am 3. Juni 2002 am Flughafen Wien eingetroffen (2). Was tat er hier?
Redeverbot für Abu Omar und Al Minshawy

Über Al Minshawy hat Abu Imad aus Mailand in
den letzten zwei Jahren einiges in Erfahrung gebracht. "Er landete im selben
Gefängnis wie Abu Omar. Es wurde mir berichtet, dass ihn die ägyptischen
Behörden 2005 bedingt freiließen. Es dürfte ihnen klargeworden sein, dass er
mit Terroristen nichts zu tun hatte. Aber er darf mit niemandem reden. Es ist,
so heißt es, als ob er verstummt wäre." (2)

Der in Österreich legal ansässige Imam wird in Ägypten in einer Art von extrem
verschärftem Hausarrest gehalten und ist praktisch incomunicado (2).

Diese politische Kontaktsperre wird in Ägypten auch mit Abu Omar praktiziert.
Er war April und Mai 2004 drei Wochen lang unter strengen Auflagen bedingt
freigelassen. Abu Omars "Freund", wie ihn der Corriere bezeichnet, Mohammed
Reda berichtet: "Die ägyptischen Behörden haben ihm aufgetragen, er habe
mit niemandem zu reden. Sollten ihm Fragen gestellt werden, dann müsse er
antworten, er sei freiwillig nach Ägypten gefahren und habe keinerlei
Gewaltmaßnahmen erfahren. Nachdem sie aber bemerkten, dass er mich angerufen
hatte und mir über die Entführung und die Folterungen berichtete, haben sie ihn
sofort wieder verhaftet."(2)

Wenn einer von beiden das incomunicado-Diktat bricht, wird er sofort verhaftet,
gänzlich isoliert und zumeist gefoltert.

Das ist die Realität Ägyptens und auch Jordaniens. Einer, der hier lebt, egal
ob österreichischer "Staatsbürger" oder nicht, wird verschleppt und
verschwindet.

Die Wiener Szene wird ausgeforscht

An dem CIA-Terror ist jetzt auch Österreich
beteiligt, dessen Behörden, Dienste, Zeitungen, Polizei bis heute über die
Verschleppung schweigen.

Die Wiener Polizei forschte allerdings Wiens islamisches Milieu in der Sache
Abu Omar aus. Abu Imad erklärte am 8. 4. 2003, er habe von Mohammed Shawki,
dem Vorsteher einer Wiener Moschee, erfahren, er sei einige Tage nach dem
Verschwinden von Abu Omar von einem Mann, der Shawki schon bekannt war, einem
Geheimdienstler, verhört worden. Man wollte von Shawki wissen, wer denn von ihm
Informationen über Abu Omar haben wollte. (1)

Über die Entführung Omars war die Wiener Polizei blitzschnell im Bilde. Sie
verhört und weiß schon alles. Shawki wird an anderer Stelle gegenüber Abu Imad
noch deutlicher. Er sei schon am selben Tage, an dem die Frau Omars dessen
Verschwinden gemeldet hatte, von der Wiener Polizei 17 Stunden lang verhört und
über Abu Omar und dessen Aktivitäten befragt worden. Er antwortete auf die
Fragen der Polizei, hörte aber offensichtlich erst danach von der Entführung.
Er ging zur Polizei zurück, es war am 20. Februar, wie er sich zu erinnern
glaubte, und fragte sie, wieso sie ihm gegenüber die Entführung Abu Omars
überhaupt nicht erwähnt worden war.

Die schlichte Antwort der Wiener Polizei: Abu Omar befindet sich nicht mehr in
Italien. Langsam dämmerte es ihm, als er sich noch einmal all die Fragen
vergegenwärtigte, die die Polizei ihm gestellt hatte! Wie konnte die Wiener
Polizei etwas von der Entführung wissen, bevor noch die Frau Abu Omars darüber
berichtet hatte, fragte er sich (1).

Es wäre lächerlich anzunehmen, die österreichische Polizei hätte nichts von der
Entführung Al Minshawys gewußt, wenn sie schon über Abu Omar so gut informiert
ist.

Was wusste sie davon? Hat sie am Ende dazu beigetragen? Haben die
österreichischen Geheimdienste dazu beigetragen? Wer hatte hier mit Purvis
Kontakt? Wer stellt vor den Wahlen die entsprechende Parlamentarische Anfrage?
Österreich im Fadenkreuz der CIA

Für Österreich existiert eine geheime
CIA-Liste mit "gefährlichen Personen". Das wurde dem ehemaligen Chef der
Gegenspionage des SISMI Gustavo Pignero von Jeff Castelli, dem damaligen
CIA-Chef in Italien und Botschaftsattachà© persönlich mitgeteilt.

Gegen Castelli besteht, im Zusammenhang mit der Entführung Abu Omars,
Haftbefehl, auch gegen Mancini, dessen Nachfolger, wird ermittelt, der einer
der Hauptverantwortlichen der Omar-Entführung ist.

Nicht nur in Italien habe, so Castelli, die CIA "die Präsenz einer
bestimmten Anzahl gefährlicher Personen" ausgemacht, sondern auch in anderen
Ländern, unter denen explizit Belgien, Österreich und Holland genannt werden.

Es stammt dies ebenfalls aus einer Meldung des Corriere della Sera, und
zwar schon vom 10. Juli 2006 (5). Inzwischen sind drei Wochen vergangen,
es hat sich aber keine österreichische Zeitung die Mühe gemacht, diese doch
wahrlich sensationelle Meldung aufzunehmen. Vielleicht können sie nicht
italienisch?

Der General bekam vom Italo-CIA-Boss eine Reihe von Namen, darunter, wie er
sich deutlich erinnern kann, auch den des Imams aus Mailand. Das
Entführungsopfer wurde ihm also namentlich genannt.

Die auf den Listen aufgeführten Personen seien, so Castelli Objekte der
CIA-Intelligence, wie auch "operative Ziele". Was man bei der CIA unter
Operationen versteht, wird am Fall Abu Omar klar.

Eindeutig hat die CIA also auch für Österreich Listen von potentiellen Entführungs-
und Folteropfern zusammengestellt. Wer steht, neben Alminshawy, noch auf dieser
Liste?

Man kann annehmen, dass die Polizeien und Dienste Österreichs einiges wissen,
aber nicht preisgeben.

Der Fall Al Minshawy zeigt, dass in Österreich öffentlichkeits- und
demokratieentzogene Parallelstrukturen existieren dürften.

Die Entführung Al Minshawys gibt einige Rätsel auf, die die österreichische
Öffentlichkeit demnächst zu lösen hat. Eines aber scheint ziemlich plausibel zu
sein.

"Eine weitere illegale Aktion, bei der die Geheimdienste Italiens, der
Vereinigten Staaten und Österreichs zusammenwirken", lautet die Prognose und
Diagnose Paolo Biondanis vom Corriere della Sera (2).

Reportage von Aug und Ohr

(1)Tribunale di Milano, Sezione Giudice
oper le indagini preliminari, n. 10838/05 R.G.N.R., n. 1966/05 R. G.GIP,
Seite 44 (englisch)

(2) Paolo Biondani: Sismi-Cia, inchiesta su un altro imam sparito,
Corriere della Sera, 30. 7. 2006

(3) Vgl. Dazu unter anderem: Paolo Biondani: Gli investigatori del caso
Abu Omar: cosଠci ha aiutato a incastrare il Sismi, Corriere della Sera,
23. 7. 2006

(4) Divisione Investigazini Generali e Operazioni Speciali,
Spezial-Task-Force, Teil der italienischen Staatspolizei. In
ihrem Visier sind in erster Linie Systemgegner, aber sie leistet auch sonst
gute Aufklärungstätigkeit.

(5) Gli USA fecero il nome di Abu Omar, Corriere della
Sera, 10. 7. 2006