Noch einmal Peter Handke, die Politik und der liberale Mainstream

14.12.2019
Von A.F. Reiterer
Der Hass auf den Abweichler

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Als Anfang Oktober Peter Handke der sogenannte Nobelpreis zugesprochen wurde, war dies gleichzeitig erwartet und doch irgendwie sensationell. Damals schien es mir, für Handke wäre es das Beste, diesen Preis zurück zu weisen. Er nützt ja doch nur dem Preis-Komitee. Inzwi­schen hat mich die Wirklichkeit und insbesondere die psychotische Reaktion der liberalen Intellektuellen eines Besseren belehrt. Ich hätte den Hass, der da gegen einen confrère dieser Intellektuellen selbst ausgeschüttet wurde, nicht für möglich gehalten – von jenen Intellektu­ellen und Journalisten, die so gerne gesetzliche Maßnahmen gegen Hass im Internet und dergleichen mehr fordern und teils auch schon durchgesetzt haben.

Ganz verständlich ist mir diese Explosion noch immer nicht. Versuchen wir, ein paar Elemente herauszulesen.

Der entscheidende Punkt dürfte wohl sein: Hier hat ein Schriftsteller hohen Ranges – also nicht ein Nobody, wie wir selbst das sind – der Ausdeutung und der Meinungs-Hoheit in einer zentralen Frage widersprochen hat. Dieser zentrale Punkt ist: Wir, der westlich-neoliberale Hauptstrom, wir sind berechtigt, für unsere Herrschafts-Institutionen, und vor allem für unsere Meinungen und Weltsichten, andere mit Waffengewalt zu überfallen und zu unserer Zivil-Religion zu zwingen.

Gerade die an der Oberfläche so unpolitische Form des Peter Handke hat die besondere Wut herausgefordert. Das bei ihm so oft wiederholte „dachte ich damals und denke ich auch heute“ ist das Gegenteil von dem, was Journalisten wollen und tun. Gelesen hat ihn offenbar keine/r von denen, die ihn jetzt am liebsten umbringen möchten. Die „Winterliche Reise“ ist ja das Gegenteil von dem, was ihm – Handke – Tag für Tag unterschoben wird. Aber selbst wenn das der Fall wäre, wenn einer jener anderen Schriftsteller oder Journalisten das Büchlein nicht nur in die Hand genommen, sondern auch aufgeschlagen hätte: Sie wären nicht imstande gewesen, das auch wirklich zur Kenntnis und aufzunehmen. Mit vor Hass verkniffe­nen Augen, knirschenden Zähnen und Schaum vor dem Mund liest es sich nicht gut.

Ich will mich nicht auf eine belletristische Exegese einlassen. Das liegt mir nicht. Ich möchte nur auffordern, es zu lesen – diejenigen zumindest, die sich noch ein Restchen nicht nur an Urteilskraft, sondern auch an halbwegs zivilen Verhaltensformen erhalten haben. Der Text ist es übrigens auch wert, als literarisches Produkt gelesen zu werden.

Politisch ist dazu aber doch noch Einiges zu sagen.

Peter Handke vermeidet es, vom Einfachsten zu sprechen oder zu schreiben, um das es in diesem Zusammenhang geht: Dass es da in Jugoslawien oder damals schon in Serbien schlicht um einen imperialistischen Überfall seitens der USA und der NATO-Marionetten, insbeson­dere der BRD, auf ein Land und dessen Regierung ging, die sich schlicht nicht an die Vor­gaben dieser Herren der Welt halten wollten. Was man in Grenada, in Guatemala, in Chile, in Vietnam, usw., usw., tat, nun das praktizierte man eben auch in Südost-Europa. Das ist Handkes Schwäche und vielleicht auch seine literarische Stärke.

Und der „Völkermord“ von Srebrenica? Und Vukovar? Nehmen wir einmal an, es seien wirklich die von westlicher Seite behaupteten 8.000 Opfer gewesen – ich weiß es nicht. Aber es ist obszön, bei dieser Zahl von einem „Völkermord“ zu sprechen. Völkermord, denken wir an die Shoa, an Kambodscha, an Ostafrika, schließlich auch an den langsameren Prozess in Palästina, ist auch und nicht zuletzt eine Frage der Größenordnung. Ich höre jetzt die Heuchler/innen schon, die aufheulen und sagen: Auf jeden Einzelnen kommt es an! Einver­standen. Aber gilt das für die anderen Bombardements und Attacken nicht? Wenn wir aber schon mit Rechtsbegriffen – Mord, „Völkermord“ – um uns werfen, dann sollten wir auch die Kriterien und Verhältnisse wahren.

Aber man sollte sich auf diese rhetorischen Figuren in Wirklichkeit gar nicht einlassen. Sie sind ja nicht ernst gemeint. Man folgt da den zwielichtigen Gestalten der Journaille und der Literatur nur auf einem Weg, der bewusst ins Dickicht angelegt ist.

Worüber aber doch gesprochen werden könnte, ist die Rolle der „Leitkultur“ in den hiesigen „Leitmedien“. Da ist es auffällig, dass es wieder die sattsam bekannten neoliberalen Organe sind, die sich „linksliberal“ schimpfen. In Österreich ist dies hauptsächlich der rosa „Stan­dard“. Der führt eine regelrechte und orchestrierte Kampagne. Dafür bietet er auch Personen auf, über die man eigentlich nur lachen kann. Da schreibt z. B. ein gewisser Paul Lendvai. Der bemüht sich schon seit vielen Jahren, seine Dankesschuld an Österreich und insbesondere an die Sozialdemokratie abzutragen. Dann gibt es neben den Journalisten auch Akademiker und vereinzelt auch Literaten, die für die große Verfügung bereit standen. Von Letzteren gab es zu meinem Erstaunen eigentlich gar nicht so viele. Die Hatz auf Peter Handke war hauptsächlich ein Geschäft der Zeitungsleute. Wenn ich meinen Ordner mit den Artikeln anklicke, finde ich von den gegenwärtigen Namen der österreichischen Literatur kaum jemanden. In den letzten Tagen haben sie dann plötzlich gemerkt, wie sehr sie sich selbst decouvriert haben. Da haben sie plötzlich Handke-Biographen usw. eingeladen, um ihre vorherige Kampagne zu bemänteln.

Ich bin nicht sicher, ob diese Korrektur der politischen Kampagne positiv zu bewerten ist. Und was die Absenz von Literaten betrifft: Vielleicht wollen sich diese Leute – ich enthalte mich hier der Namen – nur nicht exponieren, wenn sie selbst einmal dran sind.

Der neoliberale, „linksliberale“ Hauptstom kann es nicht verwinden, für einmal sich nicht auf ganzer Linie durchgesetzt zu haben. Das ideelle Gesamt-Intellektuelle Nobelpreis-Komitee hat für diesmal eine Entscheidung getroffen, welche dem Augenblicks-Interesse dieser Leute massiv entgegen läuft. Sie reagieren mit Verständnislosigkeit und mit mörderischen Gelüsten.

Wir aber sollten uns auch in diesem Augenblick bewusst sein: Wenn wir irgendetwas bewe­gen wollen, müssen wir gegen diese Leute und ihre Hegemonie arbeiten. Gleichzeitig aber müssen wir uns auch bewusst sein: In dieser Auseinandersetzung sind wir Teil einer Kultur, welche dem Großteil der Bevölkerung weitgehend gleichgültig ist. Und trotzdem ist die Auseinandersetzung notwendig, weil unsere Stellung und diese Kultur ein essenzieller Bestandteil des Herrschafts-Apparates ist. In diesem Sinn ist die Episode „Handke und der Nobelpreis“ nicht ganz unwichtig, wenn auch zweischneidig. Denn wenn wir Peter Handke verteidigen, verteidigen wir damit gleichzeitig auch einen Teil der Eliten-Kultur.