Ukraine-Russland: kapitalistische Oligarchen und Selbstbestimmung

02.03.2014
Antiimperialistische Koordination
Wie vielerorts hat sich sozialer Protest gegen das Wüten der kapitalistischen Oligarchie mit Kampf um Identität und Ausschluss anderer verbunden. Von Anfang an hatte der Konflikt auch eine geopolitische Dimension. Grundsätzlich meinen wir, dass für die Ukraine selbst und ihre Volksmassen eine äquidistante Haltung zwischen westlichen und russischen Großmachtinteressen die beste Lösung wäre. Schlägt das Pendel so wie gerade eben aus, so kann von einem demokratischen Gesichtspunkt das Selbstbestimmungsrecht nicht verweigert werden – auch nicht für Russen.

1) Geopolitk erdrosselt Soziales: Die Logik der Geopolitik treibt die Ukraine Richtung Katastrophe. Das „Pro-russisch“ und „Anti-russisch“ verdeckt die sozialen Probleme des Landes, vergiftet den sozialen Charakter jeder sozio-politischen Konfrontation. Besonders begünstigt wird das durch die ausländische Intervention. Diese ist auch russisch, aber nicht in erster Linie: Die Einmischung der EU, ihre bedingungslose Unterstützung der Opposition im Sinne eines „Roll-Back“ Russlands, hat dort die radikalsten und faschistischen Teile gestärkt. Die Einmischung der EU und der USA haben es der Opposition erlaubt eine Regierung zu bilden, die auf jeglichen Konsens verzichtet und offene Rechtsextremisten und Antisemiten in entscheidende sicherheitspolitische Positionen bringt und auch den Generalstaatsanwalt stellen lässt. Die russische Intervention trägt ihr Schärflein bei, aber die erste Verantwortung für die Eskalation liegt in der Politik vom Westen gestützter extremistischer Nationalisten. Gerade aus deutscher und österreichischer Sicht: Die Intervention der EU muss augenblicklich beendet werden. Sie bringt die Gefahr eines echten Krieges, für dessen Opfer dann auch die westliche Politik verantwortlich ist.

Sozioökonomisch sind die subalternen Klassen zur Schlachtung schon vorgesehen. Unter dem geopolitischen Donner wetzen IWF, EU und USA noch viel leichter die Messer. Man soll nicht vergessen, dass der russische Kredit, der das Assoziierungsabkommen mit der EU zu Fall brachte, die Attacken der globalen Finanzinstitutionen zumindest gelindert hätte.

2) Soziales: Seit dem Ende der UdSSR hat sich die Ukraine zu einem Drittweltland unter der Diktatur einer kapitalistischen Oligarchie zurückentwickelt. Daran waren sowohl prorussische als auch prowestliche Kapitalisten mit heftiger Unterstützung der EU, der USA und Russlands beteiligt. Die EU-Austeritätspolitik kombiniert mit der globalen Krise des Kapitalismus führt zu einer schrecklichen Verarmung der ukrainischen Bevölkerung. Die Proteste hatten unzweifelhaft auch ein soziales Moment, dem die Legitimität nicht abgesprochen werden kann – selbst wenn es in den Hintergrund gedrängt wurde.

3) Reaktionäre Führung: Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass reaktionäre antirussische und zuweilen Pro-EU-Kräfte nicht nur die Führung der Bewegung übernommen haben, sondern sich durchaus auch einer Hegemonie erfreuen, insbesondere im Westen des Landes. Die Entziehung des Status des Russischen als Staatssprache durch die neuen Machthaber spricht Bände. Die Regierung, die sie an die Macht gebracht haben, wird wohl ein Recycling der alten orangen Oligarchen bedeuten. Die Interessen der subalternen Schichten, die den Anstoß für die Revolte gaben, werden keinerlei Beachtung finden. Darum stehen wir mit Vorsicht gegen die Bewegung und mit aller Entschlossenheit gegen die neue Regierung.

4) Nicht mit den prorussischen Oligarchen: Das kann aber nicht heißen Seite mit den östlichen Oligarchen zu beziehen, die in den letzten Jahren die Verantwortung für das soziale Massaker trugen (davor waren es die prowestlichen und im Übrigen verstanden sich beide auf dieser Basis). Dagegen entsprangen schließlich die gegenwärtigen Proteste. Der historisch dominante russische Nationalismus ist nicht weniger ausschließend und reaktionär, auch wenn er geopolitisch sich gegen das westliche Machtzentrum stellt.

5) Schaukelpolitik: Die beste Geopolitik im Sinne der Interessen der Mehrheit der Bevölkerung wäre eine Politik des Gleichgewichts zwischen Zentrumsimperialismus (EU, USA) und Peripherieimperialismus (Russland). Sich einer der beiden Seiten auszuliefern, heißt sowohl wirtschaftliche als auch politische Abhängigkeit.

6) Selbstbestimmungsrecht auf bei Seiten: Die leninistische Politik bestand darin, das Selbstbestimmungsrecht der im russischen Orbit befindlichen Nationen anzuerkennen – ein Prinzip das nur wenige Jahre nach der russischen Revolution zur Anwendung gelangte und von der jahrhunderte alten Kontinuität russischer Großmachtinteressen erdrückt wurde. Nun, da mit Hilfe des Westens ein ukrainischer Nationalismus wütet, gilt vice versa in letzter Konsequenz auch für die Zonen mit satten russischen Mehrheiten das Selbstbestimmungsrecht. Doch Lenins Idee war mit der Respektierung der Rechte der kleineren Nationalitäten nicht die Spaltung voranzutreiben, sondern die Einheit auf eine demokratische Grundlage zu stellen. Das muss auch das erste Ziel in der Ukraine sein.

7) Westliche Scheinheiligkeit: Das Geschrei des Westens über die Verletzung der ukrainischen Souveränität ist wie praktisch immer von den eigenen geopolitischen Interessen getrieben. Andernorts verletzen die USA und der Westen unentwegt die Souveränität anderer Staaten. Die Begründungen sind beliebig und reichen von der „responsability to protect“, über humanitäre Hilfe, Völkermord, Demokratie, Terrorbekämpfung bis hin zum Schutz ihrer Bürger. Der Kreml macht nichts anderes und ist daher auch um nichts schlechter.

Aber der wirkliche Skandal ist dieser Tabubruch seitens der sich ständig antifaschistisch selbstdarstellenden westlichen Staatengemeinschaft, indem sie zur Erlangung strategischer Vorteile ein Bündnis mit unzweifelhaft revanchistischen, offen nazistischen, antisemitischen Kräften eingeht. Auch wenn sie diesen nur die Drecksarbeit nützt, um sie nachher wieder in die politische Bedeutungslosigkeit zurückzudrängen gedenkt. So wenig unterstützungswürdig die Putin’sche Autokratie ist, kann wohl unzweifelhaft nachvollzogen werden, dass der Kern-Nachfolgestaat der UdSSR, der am meisten unter der Nazi-Aggression gelitten hat, hier breite Unterstützung in der russischen Bevölkerung finden wird, in- und außerhalb Russlands. Die antifaschistische ukrainische Linke ist - wie dzt. Berichten zu entnehmen ist - einer richtigen Hetzjagd seitens der faschistischen Banden ausgesetzt.

8) Im Falle des Eingreifens der NATO: Noch ist es nicht so weit und der Preis für eine militärische Intervention gegen Russland scheint für die USA und noch mehr für die EU viel zu hoch. Doch sollte es so weit kommen stellen wir uns im Zweifelsfall immer gegen die NATO!