Israels Premier Scharon kündigt Ausweitung der Militäroffensive im Gazastreifen an
Mehr als 120 Palästinenser getötet. Rotes Kreuz warnt vor Versorgungsproblemen
junge Welt, 15.10.2004, Rüdiger Göbel
Israels Ministerpräsident Ariel Scharon ist willens, die Militäroffensive gegen Palästinenser im Gazastreifen zu verschärfen. „Der Einsatz wird andauern und sogar ausgeweitet, solange es Opfer auf der israelischen Seite gibt“, sagte Scharon in Jerusalem. Mit Luftangriffen auf das Flüchtlingslager Dschebalija ging die israelische Offensive „Tage der Buße“ in ihre dritte Woche. Bei den Attacken in der Nacht zum Donnerstag wurden zwei Menschen getötet. Die Palästinenser hätten versucht, Sprengsätze zu plazieren, rechtfertigten die israelischen Besatzungstruppen ihre tödlichen Angriffe. Beim zeitgleichen Armeevorstoß in das palästinensische Flüchtlingslager Rafah wurden gestern drei Bewohner von israelischen Soldaten getötet, darunter ein 70jähriger Mann. Bulldozer zerstörten 32 Häuser. Die Besatzungstruppen sprachen von einem Routineeinsatz. Bei ihrer „Tage der Buße“ genannten Vergeltungsaktion haben israelische Soldaten bisher mehr als 120 Palästinenser getötet, darunter zahlreiche Kinder, und Hunderte verletzt. Offizieller Anlaß des israelischen Vorgehens war ein palästinensischer Raketenangriff auf die illegale Siedlung Sderot. Dabei kamen am 29. September zwei israelische Kleinkinder ums Leben.
Am Mittwoch starb indes ein weiteres palästinensisches Mädchen. Das Kind war am Vortag an seinem Pult in einer UN-Schule im Gazastreifen von einer Kugel der israelischen Armee getroffen worden. Am selben Tag erschossen israelische Soldaten im Flüchtlingslager Rafah einen 16jährigen Palästinenser. Zwei weitere Jugendliche wurden verletzt. Am Mittwoch wurde zudem die Suspendierung eines Offiziers der israelischen Armee bekannt, der ein palästinensisches Mädchen ermordet haben soll. Die 13jährige war am 5. Oktober in der Nähe eines Armeepostens im südlichen Gazastreifen von einer Kugel getroffen worden und zu Boden gegangen. Nach Darstellung mehrerer israelischer Soldaten ging ihr Vorgesetzter daraufhin zu dem Kind und feuerte aus nächster Nähe sein Magazin leer. Palästinensische Ärzte berichteten später, in dem Körper der Kleinen seien 15 Kugeln gefunden worden. Die Familie berichtete, das Mädchen sei auf dem Weg zur Schule unweit des Flüchtlingslagers Rafah gewesen. Die Besatzungstruppen behaupteten, das Kind sei in eine gesperrte Zone eingedrungen. Die Soldaten hätten vermutet, die 13jährige habe eine Bombe deponieren wollen, nachdem sie ihre Schultasche abgestellt hatte.
Nach einem Bericht von Al Dschasira in dieser Woche gibt es mittlerweile ernste Versorgungsprobleme im Gazastreifen. Die Zahl der Palästinenser, die sich im Innern des israelischen Belagerungsrings im nördlichen Gazastreifen aufhalten, wird auf 15000 geschätzt. Seit dem Beginn der israelischen Offensive haben sie keinen Zugang mehr zu Nahrungsmitteln und Krankenhäusern. Auch Strom- und Wasserversorgung sind unterbrochen. „Seit dem 6. Oktober sehen wir die Lage als zunehmend drastisch an“, sagte Ijad Nasr, Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in Gaza, dem arabischen TV-Sender. Den Menschen mangele es an Lebensmitteln, Wasser und medizinischer Versorgung.