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November in Nablus

4. Dezember 2004

von Hanan No-Shi

Da wir alle hier, wir Ihr auch, ziemlich intensiv über die Situation in Falludscha auf dem Laufenden gehalten werden und auf all den arabischen Fernsehsendern, besonders auf Al Dschasira, reich in Wort und Bild über die Geschehnisse dort informiert werden, haben wir uns zu einer Solidaritätsaktion entschlossen.

Wir wollten besonders in der arabischen Welt unser Mitgefühl und unsere Solidarität mit den Menschen im Irak ausdrücken und darauf aufmerksam machen, dass besonders Nablus in Palästina genau wie Falludscha im Irak unter den Grausamkeiten einer fremden Besatzungsmacht – beide finanziert und ausgestattet von amerikanischen Steuerzahlern – zu leiden haben.

Unsere Idee war, den Schriftzug „Al Faludscha“ in Arabisch in grossen Buchstaben an einem der Nablus umgebenden Berghänge als Feuer brennend den Bewohnern der Stadt und möglichst vielen Journalisten zu präsentieren.

Dazu haben wir gestern jeden Buchstaben aus Sand geformt, auf dem teils mit Gras und Büschen bewachsenen, teils steinigen Untergrund appliziert, dann mit Benzin übergossen und angezündet.

Tatsächlich erstrahlte wie geplant um 18 Uhr in grossen deutlich lesbaren Lettern der Name der umkämpften Stadt über der Stadt Nablus…Die Menschen waren begeistert, wir auch. Nicht nur, weil all unsere Vorbereitungen Sinn gemacht haben, sondern besonders auch, weil wir so viele tatkräftige Palästinenser mit dabei hatten, die uns bei den Vorbereitungen geholfen haben.

Der einzige grosse Haken an der Sache war, dass das Fernsehteam – mit Journalisten von Al Dschasira u.a. – auf dem Weg von Tulkarem nach Nablus am Checkpoint aufgehalten worden waren. Es hat also im Endeffekt nur ein lokaler Sender Aufnahmen gemacht und einige von uns interviewt.

Daraufhin baten uns die Journalisten am Abend am Telefon, die Aktion noch einmal zu wiederholen, was wir gern heute abend gemacht hätten…Doch der Dauerregen machte uns leider einen Strich durch die Rechnung…Hoffentlich ist es morgen trocken, so dass wir dann unsere Chance nutzen können.

Doch das Wetter hat auch sein Gutes: Wir bekamen heute einen Anruf aus einem Dorf nahe Nablus, aus Auarta. Dort hatten die Bewohner heute morgen ihre Oliven gepflückt und waren dann von Siedlern aus der berüchtigten Siedlung Itamar vertrieben worden. Dies unter der Ankündigung, dass diese die Bäume niederbrennen würden, sollten die Bewohner die Ernte doch fortsetzen…Diese setzten die Ernte zwar fort, baten aber uns, zu kommen und zumindestens zu dokumentieren und die Medien zu informieren, sollte sich die Befürchtung bewahrheiten.

Im Endeffekt wurden wir dahingehend auf dem Laufenden gehalten, dass die Siedler sich bei einsetzendem Dauerregen verzogen hatten, wir hoffen, dass sie ihre Drohung nicht wahrmachen können, und auch, dass sie nicht auf andere Ideen kommen. Wir würden gern Leute schicken, werden aber leider übermorgen in Assira, einem anderen Nachbardorf zur Olivenernte erwartet, dies für eine Woche…Und da wir nur 8 Leute sind, können wir die Gruppe nicht teilen.

So langsam leert sich Palästina, was ISM-Leute angeht. Bedauerlicherweise ist gar kein Wort dafür…Wir könnten so viele Leute hier gebrauchen.

An so vielen Ecken und Enden fehlt es hier: seit nunmehr 6 Wochen sind die Lehrer all der zahlreichen UNRWA-Schulen hier in Nablus auf Streik. Sie kämpfen für gerechtere Bezahlung und eine Verbesserung der Lehrmittel und Ausstattung der Schulen. Ein ausländischer Mitarbeiter bei der UNRWA verdient beispielsweise bis zu 10 Mal so viel wie ein palästinensischer…Wohin man auch guckt, herrscht Ungerechtigkeit und Diskriminierung…

Wie sich diese Situation auf die Kinder hier auswirkt, kann sich jeder ausmalen. Zu der Traumatisierung durch die Soldaten, durch Invasion, Ausgangssperren, Häuserdurchsuchungen, Verhaftungen, Tötungen, Exekutionen, unmittelbar erlebte körperliche und verbale Gewalt, Demütigungen und Beleidigungen kommt nun auch noch die geistige Unterversorgung, die Langeweile…Wohin mit aufgestauter Energie, mit angesammelter Aggression, was tun mit all der freien Zeit?? Es gibt so gut wie keine Möglichkeiten, Sport zu treiben, sich kreativ zu beschäftigen, Energien konstruktiv zu nutzen. Es fehlt an Platz, Material – Geld – , Sozialarbeitern, Voluntären etc. etc. Nicht an Ideen!!

Einst waren die Palästinenser bekannt für ihre intellektuelle breite Elite. Seit langem und besonders seit der zweiten Intifada droht auch diese Quelle von Fortschritt und Hoffnung zu versiegen. Es ist ein Jammer zu sehen, wieviel Leid und Kummer ein Volk auf dieser Erde erleiden muss.

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