junge Welt, 11.1.2005
Kommentar
Mahmud Abbas neuer Palästinenserpräsident
von Werner Pirker
Die Präsidentschaftswahlen in den besetzten palästinensischen Gebieten haben gehalten, was sie versprochen haben. Fast 70 Prozent der Wähler stimmten für den Kandidaten der Al Fatah, Mahmoud Abbas. Es waren keine fairen Wahlen. Abbas wurde von der Flut des medialen Mainstreams förmlich in das Präsidentenpalais getragen. Praktisch alle palästinensischen und arabischen Medien mit Masseneinfluß übten sich in einem kriecherischen Personenkult, der einen farblosen Bürokraten zu einer nationalen Heilsfigur erhob. Und trotzdem ist es erstaunlich, daß die Palästinenser mehrheitlich für den Favoriten Israels und der USA votiert haben.
Daß der neue Chef der Autonomiebehörde seinen Sieg „der Seele Yassir Arafats, unseren Märtyrern und den 11000 palästinensischen Gefangenen“ widmete, dürfte in Israel keine größeren Irritationen ausgelöst haben. Abbas hält an der Idee eines unabhängen Palästinenserstaates in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt fest. Dazu kommt noch die Forderung nach einer „gerechten Lösung des Problems der palästinensischen Flüchtlinge“. Doch dieses Minimalprogramm – bezogen auf die ursprüngliche Zielvorgabe der „Befreiung ganz Palästinas“ – ist zum Maximalprogramm geworden, wovon sich nur ein Minimum wird realisieren lassen. Denn die Zweistaatenlösung macht für die israelische Seite nur dann einen Sinn, wenn sich damit die Flüchtlingsfrage, zu deren Lösung Israel von der Weltgemeinschaft in mehreren UN-Resolutionen verpflichtet wurde, endgültig aus der Welt schaffen läßt.
Während sich Scharon seine Genugtuung über die Wahl des Kandidaten seiner Wahl nicht allzu deutlich anmerken läßt, sprach Bush von einem „historischen Tag für das palästinensische Volk“. Die vom Fatah-Machtapparat durchgesetzte Wahl des US-Günstlings zum Präsidenten wird zur „demokratische Wende“ hochstilisiert und damit suggeriert, daß die besetzten palästinensischen Gebiete zu einem Modellfall der „Demokratisierung“ des gesamten Nahen Ostens geworden seien. Die Aufgaben, die Washington dem neuen Präsidenten auferlegt, lauten „Kampf gegen Terrorismus und Korruption“ sowie „Aufbau reformierter und demokratischer Institutionen“. Es dürfte sich hierbei um ein kulturelles Mißverständnis handeln. Die Palästinenser mögen zwar diesmal die falsche Wahl getroffen haben. Doch haben sie auf lange Sicht sicher keine Entscheidung gegen ihr Recht auf nationale Selbstbestimmung und für ein fremdbestimmtes Programm zur „Nation building“ getroffen. Die Besatzungsrealität und Israels strukturelle Unfähigkeit, das palästinensische Volk als gleichberechtigtes Subjekt wahrzunehmen, wird ihnen keine andere Wahl als den Kampf lassen.