Interview mit Scheich Hassan Abu Yussuf, Sprecher der Hamas im Westjordanland
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Scheich Hassan Abu Yussuf ist einer der prominentesten Sprecher des politischen Flügels der Hamas im Westjordanland. Die internationale Solidaritätsdelegation „Risse in der Mauer“, hatte die Gelegenheit ihn in Ramallah für ein Interview zu treffen, nur einen Tag nachdem Feuer auf sein Auto auf seinem Weg nach Hause eröffnet worden war. Bei diesem Überfall wurde niemand getötet oder verletzt.
Intifada: In den europäischen Medien ist oft die Rede von der Hamas, wobei es meistens um ihre militärische Aktivität geht. Können Sie uns Ihre Organisation vorstellen?
Scheich Abu Yussuf (A.Y.): Zunächst einmal bin ich froh, dass Sie aus Europa gekommen sind um sich über die Hamas aus erster Hand zu informieren. Hamas wird als terroristische Organisation bezeichnet, obwohl wir nichts dergleichen sind, wir sind Freiheitskämpfer, wir verteidigen unser Land und unsere heiligen Stätten, unser Volk gegen die Aggression, gegen die Mauer, gegen die Siedlungen. Gegen die Besatzung, die Männer, Frauen und Kinder tötet. Dazu gibt uns die Religion das Recht. Wir sind betrübt, dass die Geschichte umgeschrieben wurde und diejenigen, die sich selbst verteidigen, nun Terroristen genannt werden, hingegen diejenigen, die uns besetzen, Freiheitskämpfer geworden sind. Wir leben in traurigen Zeiten. Ist das die Zivilisation, von der die USA reden? Wer wird von ihnen verteidigt? Wir haben sechzig Jahre Besatzung erdulden müssen und die USA und andere Länder unterstützen die Besatzung wirtschaftlich und durch die Medien. Immer wenn es UN-Resolutionen zu Gunsten der Rechte der Palästinenser gegeben hat, haben die USA ihr Vetorecht gebraucht. Das Regime in Ost-Timor konnte innerhalb kürzester Zeit zu Fall gebracht werden, aber hier will niemand intervenieren. Die Welt hat uns verlassen, niemand unterstützt uns, damit wir unseren eigenen Staat haben können. Wieso haben wir dann nicht das Recht uns als Hamas-Partei zu verteidigen? Hamas hat vielen Waffenstillständen zugestimmt, wir sind die disziplinierteste politische palästinensische Partei. Was erwartet die Welt von den Palästinensern wenn ihre Häuser zerstört, ihr Land geraubt, ihre Bäume entwurzelt, Familienangehörige ins Gefängnis geworfen werden? Erwartet man von uns einfach da zu sitzen, die Hände in den Schoß zu legen und den Aggressoren einen Strauß Blumen zu überreichen? Wir verteidigen uns, wir verteidigen die islamischen und christlichen heiligen Stätten, wir verteidigen eine Nation, von der sechzig Prozent im Exil leben. Wir verteidigen unser Land gegen die Apartheidmauer, gegen die Demütigung der Alten, Kranken und Schwangeren bei den Checkpoints. Die Internationale Gemeinschaft sollte einschreiten bevor es zu spät ist. In den freien Ländern sollten sich die Solidaritätsbewegungen mobilisieren.
Intifada: Was sind die täglichen Aktivitäten um der Besatzung zu widerstehen und den palästinensischen Widerstand zu stärken? Was für eine Rolle spielt die Hamas in der palästinensischen Gesellschaft?
A.Y.: Wir sind nicht nur eine militärische Gruppe, sondern wir verfolgen verschiedene Aktivitäten. Wir haben Schulen, Hilfswerke, Wohltätigkeitsvereine und viele Palästinenser unterstützen uns. Bei den Kommunalwahlen waren wir sowohl in der ersten als auch in der zweiten Runde stark vertreten. Wir bereiten uns auch darauf vor an den kommenden Parlamentswahlen teilzunehmen, zum ersten Mal. Wir glauben an das demokratische Zusammenleben, wir respektieren den demokratischen Prozess in allen Institutionen und Organisationen. Eines der Fundamente des Islam ist die shura, die Diskussion, was nichts anderes bedeutet als der demokratische Weg der Entscheidungsfindung. Wir sind aufgeschlossen, wir sind bereit mit den anderen zu leben, wir sind gegen das Konzept des Religionskampfes oder des Kampfes der Zivilisationen, das Gesetz soll herrschen. Wir bedauern, dass wir hier bislang kein Gesetz, sondern nur Chaos haben. Durch politische Wahlen wird das Gesetz in diesem Land gestärkt werden. Wir sind auch für die Unabhängigkeit der Gerichte, wir hatten nichts mit den Angriffen auf Richter zu tun. (1)
Wir setzen uns gegen die Armut, gegen die Arbeitslosigkeit ein, wir brauchen soziale Gerechtigkeit. Wir sind nicht engstirnig, wir sind offen für die Wissenschaft und Entdeckungen. Der Kern unserer Organisation besteht aus Studenten, Universitätsprofessoren, Akademikern. Wir respektieren Frauen, sie spielen eine wichtige Rolle in allen Aspekten des Lebens. Wir haben Institutionen speziell für Frauen, sie haben auch Positionen innerhalb Hamas, in denen sie zu entscheiden haben. Sie arbeiten Seite an Seite mit den Männern in Operationen gegen die Besatzung. Viele müssen dafür, dass sie Teil der Bewegung sind, auch Gefängnisstrafen verbüßen. Eine von ihnen wurde sogar zu 17 mal lebenslänglich verurteilt.
Also hier geht es nicht um Terrorismus. Die Palästinenser kommen zu Hamas, diskutieren, besonders aus dem gebildeten Teil der Bevölkerung. Wir nehmen am öffentlichen Leben teil, um den Aufbau eines palästinensischen Staates zu unterstützen, den Individualismus zu beenden, um Zusammenarbeit zu erreichen. Wir haben gute Beziehungen zu allen Menschen in der Welt, die uns die Hand reichen, denn wir sind gegen den Imperialismus.
Gegen den Imperialismus zu kämpfen bedeutet frei und gut zu leben, mit Würde und Freiheit ohne von anderen beherrscht zu werden. Das ist es, was der Islam möchte: die Sklaverei beenden. Es ist Zeit für die armen und schwachen Völker sich gegen den Imperialismus zusammen zu finden. Im Islam ist es uns nicht gestattet Tieren zu schaden, wie kann es uns also gestattet sein Menschen schlechter noch als Tiere zu behandeln? Ich hoffe, wir werden erfolgreich gegen den Imperialismus sein. Wenn das Feuer und die Gewalt hier in Palästina weniger wird, wird das auch gut für die Menschen außerhalb Palästinas sein. Wir sind gegen Hass und das Böse überall auf der Welt. Als Ergebnis der US-Unterstützung für die großen Übel in der Welt, besonders die Besatzung in Palästina und in anderen Teilen der Welt, verüben manche Gruppen Anschläge wie in London oder Madrid. Hamas ist gegen diese Art von Anschlägen in anderen Ländern. Wir fürchten, dass die Menschen schwer durch diese Angriffe getroffen werden, wenn sie ihre Regierungen nicht stoppen. Hamas ist Teil der internationalen islamischen Bewegung und auch in Europa und Amerika vertreten. Die Internationale Gemeinschaft hat Hamas auf die Liste der terroristischen Organisationen gesetzt. Und die islamische Bewegung die sich gegen diesen Schritt ausgesprochen hat, muss nun selbst fürchten, verfolgt zu werden. Alles was wir wollen, ist respektiert zu werden.
Intifada: Sie haben die kommenden Parlamentswahlen erwähnt. Unter welchen Umständen sind Sie bereit sich an der Regierung zu beteiligen?
A. Y.: Wir werden an den Wahlen teilnehmen und abhängig davon, was die Palästinenser wollen, könnten wir auch in die Regierung gehen.
Intifadfa: Was ist Ihre Einschätzung des Abzuges aus Gaza?
A.Y.: Ich glaube nicht, dass Israel Frieden will. Ich fürchte, während Israel einerseits aus dem Gazastreifen abzieht, baut es andererseits die Siedlungen im Westjordanland weiter aus, zerstört weiterhin unsere Infrastruktur. Deswegen kann von den Palästinensern nicht erwartet werden, dass sie ruhig bleiben. In Wirklichkeit ist es ein Trick. Gaza bleibt, was es war: ein großes Gefängnis.
Intifada: Könnten Sie uns erläutern, was bei den Zusammenstößen zwischen Palästinensern, die im Juli im Gazastreifen stattgefunden haben, passierte?
A.Y.: Es begann damit, dass Israelis Hamas-Leute umbrachten. Darauf beschlossen Mitglieder der Quassm-Brigaden als Vergeltung die Israelis anzugreifen. Einige Leute, die nahe der Fatah sind, haben das Feuer auf unserer Leute eröffnet, aber es war eine kleine Sache. Jetzt ist alles wieder unter Kontrolle, es war leicht für die Hamas die Kontrolle über die Situation wiederzugewinnen.
Intifada: Wie sehen Ihre Beziehungen mit anderen politischen und militärischen Kräften des palästinensischen Widerstands aus?
A.Y.: Was die militärische Kooperation betrifft, so weiß ich das nicht, da ich nichts damit zu tun habe. Innerhalb der Hamas kooperieren der militärische und politische Flügel natürlich miteinander, dennoch sind wir nicht über alle Dinge unterrichtet. Es gibt mit den anderen Organisationen ein allgemeines Einverständnis über vielerlei Dinge, wir sind in Kontakt mit der PFLP, der DFLP und auch mit Fatah. Es gibt ein gegenseitiges Gefühl des Respekts. Wir kooperierten mit der PFLP in den Kommunalwahlen in Bethlehem. Obwohl sowohl PFLP als auch DFLP linke Parteien sind, uns also in vielen grundlegenden Fragen fern stehen, gibt es einige Punkte, in denen wir übereinstimmen, im Sinne des Wohlergehens des palästinensischen Volkes.
Intifada: Was ist ihrer Meinung nach die bessere Lösung: die Einstaaten-, oder die Zweistaatenlösung?
A.Y.: Wir sind gegen die Besatzung, wir kämpfen für die Befreiung von der Besatzung. Nach dieser Befreiung stimmen wir zu, demokratische Wahlen abzuhalten. Es ist naiv von einer Zweistaatenlösung zu sprechen, denn wird Israel jemals den Grenzen von 1967 zustimmen oder Jerusalem als Hauptstadt für die Palästinenser anerkennen? Wir müssen in zwei Schritten denken, aber zuerst brauchen wir die Befreiung von der Besatzung.
Das Gespräch wurde am 22. August 2005 in Ramallah geführt.
(1) In Gaza hatte es zuvor Angriffe gegen einige Richter gegeben, Anm. d. Red.