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Schwarzer Tag in Bagdad

28. Februar 2006

27. Februar 2006Bagdad erlebt heute gerade seine schwärzesten Tage seit dem Einmarsch der
alliierten Truppen vor beinahe drei Jahren.

Seit dem Anschlag auf das
Heiligtum des zwölften Imam in Samara am vergangenen Mittwoch spitzt sich die
Stimmung im Irak von Tag zu Tag zu. War das Leben in Bagdad während der ersten
beiden offiziellen Trauertagen noch halbwegs normal, so liegt es inzwischen
vollständig lahm. Über die gesamte Stadt wurde eine Ausgangssperre verhängt, die
Straßen sind völlig menschenleer, Geschäfte und Märkte sind geschlossen und
selbst die Telephonleitungen sind unterbrochen. Bis heute sind mehr als hundert
sunnitische Moscheen angegriffen worden, Zahlen über die Toten liegen noch nicht
vor, bislang haben nach Schätzungen mehrere hundert Menschen ihr Leben verloren
und die Operationen gehen mit unverminderter Stärke weit er. Das Krachen von
Explosionen und Maschinengewehren wird nur noch übertönt von dem Dröhnen der
Hubschrauber, die permanent über der Stadt kreisen.

Alles scheint
zusammenzupassen; noch ist der Muharram, der heilige Monat der Schiiten nicht
vorbe, der dem Andenken des Märtyrertums der ersten Imame dient und der von der
Dschafari Regierung in besonderen Ehren gehalten wird. In dieser stark
emotionalisierten Atmosphäre hatten es die Ayatollahs leicht, das Volk zur Rache
aufzurufen. Zumindest dieser Anschlag sollte nicht ungesühnt bleiben und
Dschafari, der gerade wiedergewählte Premierminister kündigte an, daß die
Operationen nicht eher aufhören werden, bis die Terroristen gefaßt seien. In
einer progromartigen Stimmung gehen staatliche Verfolgung und Volkeszorn Hand in
Hand. Während das Volk Racheparolen skandaliert, schlachten Milizen sunnitische
Iraker auf offener Straße ab wie die 46 Reisenden in einem Bus in der Stadt
Baquba. Jedoch täuschen die Bilder; nach den Demonstrationen der ersten Tage
sind es nunmehr hauptsächlich Regierungsfahrzeuge, die mit schiitischen Fahnen
und Musik durch die ansonsten leeren Straßen fahren.

.

Die
Hetzjagd auf die sunnitische Bevölkerung im Zentralirak hat nicht erst vor fünf
Tagen ihren Anfang genommen, bereits seit Monaten terrorisieren schiitische
Milizen und irakische Sicherheitskräfte unterstützt von den Besatzern die
Menschen. Nachdem in den letzten Wochen immer lautere Kritik an der Praxis des
Innenministeriums laut gewor den war, wegen des systematischen Terrors an der
sunnitischen Bevölkerung, kritisiert nach dem Anschlag in Samara niemand mehr
offen die Brutalität der Regierung oder fragt nach der Rechtmäßigkeit ihres
Vorgehens oder danach, warum die Polizei sich nicht verpflichtet fühlt, das
Leben der Bevölkerung zu schützen.

Nachdem die USA und ihre
Verbündeten die irakische Regierung aus dem Amt gebombt haben, mußten sie mit
den Handlangern vorlieb nehmen, die sie finden konnte; das waren im Norden die
kurdischen Parteien, im Süden die schiitischen und im Zentralirak ehemalige CIA
Agenten wie Iyad Allawi und Ahmed Chalabi. Während es im Norden aus der Sicht
der Besatzer kaum Probleme gibt, ist ihnen in den anderen Teilen Iraks die
Kontrolle weitgehend entglitten und Allawis politischer Einfluß hat wese ntlich
abgenommen, den Wahlergebnissen zufolge hat er keine Aussicht auf eine
bedeutende Rolle im neuen Parlament- Ahmed Chalabi und seiner Liste ist der
Einzug gar nicht erst gelungen Das könnte jetzt allerdings ganz anders werden,
wenn die gerade begonnenen Verhandlungen über eine Regierungsbildung scheitern,
was nach den jüngsten Massakern nicht unwahrscheinlich ist. Allawi, der Mann,
der mitverantwortlich ist für die Massaker von Felujja ließe sich eventuell zum
laizistischen Retter aus einer politischen Krise, stilisieren, die verursacht
worden ist durch ,islamischen Wahn’, der sich in jüngster Zeit mehrfach im so
genannten Karikaturenstreit oder den Äußerungen Ahmedinejads zu Israel
ausgedrückt hat. Das ist genau das, was die Irakisch kurdischen Parteien, im
Einklang mit den USA schon seit Wochen fordern.

Es ist die irakische
Bevölkerung, die die Folgen einer unverantwortlichen imperialistischen Politik
ausbaden muß, die das gesellschaftliche Klima immer weiter vergiftet. Waren es
anfangs die alliierten Truppen, allen voran die USA, die so genannte
Aufständische und feindliche Kämpfer gefoltert und massakriert hat, so haben die
von den USA trainierten Marionetten nur zu willig ihre neu gewonnen
Machtbefugnisse zu benutzen gewußt. Heute sind es nicht mehr nur die bezahlten
Kräfte des Staates, die sich zu Werkzeugen ihres eigenen Untergangs machen
lassen, sondern ganz normale Menschen, die selbst mit Hand anlegen.

In
jedem Fall wird der Irak nicht mehr der gleiche sein, nach den heutigen Tagen.
Die Wunden, die in diesen Tagen gerissen worden sind, werden nicht leicht zu
heilen sein und jede weitere Emotionalisierung wird die Krise nur verschärfen.
Egal welchen Ausgang die Krise nimmt, verloren haben in jedem Falle die
Iraker.

Fatma Salih Uthman, Bagdad

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