Gedanken zu Trumps Programmatik

11.03.2017
Von Klaus Seefeld
Zu Trump

Anfangen will ich mit Trumps Wahlkampfslogan "Make America great again", weil sich darin m.E. ein ganzes Programm bündelt. Ausgangspunkt dieses Slogans ist die Feststellung, dass die USA einen Abstieg hinter sich haben, den die Politik umkehren muss, damit Amerika wieder groß werden kann. Die in dieser Aussage implizit enthaltene Feststellung des Niedergangs betrifft insbesondere zwei Felder: Außenpolitik und Wirtschaft.

1. Nach dem Zerfall der Sowjetunion vorübergehend zur weltweiten Hegemonie gelangt, sind die USA mittlerweile strategisch weit überdehnt. Während Russland sich konsolidiert hat und China einen rasanten Aufstieg hingelegt hat, ist Washington militärisch, politisch und wirtschaftlich immer weniger in der Lage, seine Rolle als globale Führungsmacht auszufüllen.
Der Irak-Krieg 2003 war der Versuch, diesen Bedeutungsverlust mit militärischen Mitteln umzukehren. Ziel war, vom Irak aus die Schlüsselregion des Nahen Ostens insgesamt in die Hand zu bekommen, bis hin zum Sturz des Mullah-Regimes im Iran. Wegen der Bedeutung des Erdöls wäre Washington so in der Lage gewesen, auf Jahre und Jahrzehnte hinaus die konkurrierenden Nationen auf Distanz zu halten. Dieser Versuch ist grandios gescheitert und hat das Gegenteil des Gewollten bewirkt. Statt die US-Dominanz zu festigen, hat er den Niedergang beschleunigt. Während der Einfluss Washingtons auf die nahöstlichen Staaten immer mehr geschwunden ist, kann Russland heute ungestraft in Syrien militärisch intervenieren, was noch vor wenigen Jahren unvorstellbar war. Das bedeutet, dass die internationalen Beziehungen sich von der US-bestimmten Unipolarität mehr und mehr in Richtung auf eine "multipolare" Weltordnung zu bewegen.

Die Schlussfolgerung Trumps und der von ihm vertretenen Kräfte daraus lautet, diesen Fakt anzuerkennen und sich aus den vorhandenen Bündnisverpflichtungen zu lösen. Wie die Autoren der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik" in ihrem Ausblick 2017 über Trumps außenpolitische Agenda schreiben: "Zum ersten Mal seit dem Aufstieg der USA zur Supermacht tritt ein Präsident sein Amt an, der aus dem internationalistischen Konsens ausbricht. Es ist kaum zu erwarten, dass Trump wie seine Vorgänger von der unverzichtbaren Führungsrolle der USA sprechen wird, von der Notwendigkeit, Lasten im Dienste der internationalen Ordnung zu tragen. Was sich programmatisch abzeichnet, ist eine rein an nationalen Interessen der USA ausgerichtete Weltmachtpolitik, ohne Beschränkung amerikanischen Handlungsspielraums, anti-interventionistisch im Hinblick auf die innere Umgestaltung anderer Staaten, aber nicht antimilitaristisch." Um es deutlicher bzw. mit anderen Begrifflichkeiten zu sagen: anstelle des bisherigen "Internationalismus" geht die US-Außenpolitik zum "Isolationismus" über – wenn Trump sich durchsetzen kann.
(Nebenher: eine Zeitlang dachte ich, dass die von Trump frühzeitig angekündigte nukleare Aufrüstung dazu dienen sollte, eine konventionelle Abrüstung auszugleichen. Aber nach seiner neuesten Erklärung will er sowohl nuklear als auch konventionell aufrüsten, um "an der Spitze des Rudels" – sprich der multipolaren Welt – zu bleiben).

2. Die andere Seite des Abstiegs ist der Niedergang der US-Industrie. Das Entscheidende dabei ist nicht der Verlust von einfachen Arbeitsplätzen, die in andere Länder abgewandert sind. Das Entscheidende ist, dass die US-Industrie gegenüber den europäischen und asiatischen Industrieländern auf vielen Gebieten nicht mehr konkurrenzfähig ist. Nach Aussage der meisten Wirtschaftsfachleute sind die USA technologisch nur noch in wenigen Bereichen führend, in der Regel dort, wo militärische Funktionen betroffen sind (und selbst dort befinden sich sensible Produktionsfelder mittlerweile in China, wie erst kürzlich offenbar wurde, als es um Komponenten für den Drohnenbau ging).
Zugleich ist die amerikanische Infrastruktur weitgehend marode – selbst im Vergleich zu Deutschland, weil im Zuge des Finanzkapitalismus jahrzehntelang nicht mehr genügend investiert wurde.
Um dieser Entwicklung zu begegnen, verficht Trump wirtschaftlich das Konzept einer Re-Industrialisierung der USA. Dazu dient ein Konjunkturprogramm zur Erneuerung von Straßen, Brücken, Tunneln, Schienen und Flughäfen, das er erst jetzt wieder in einer Rede vor Gouverneuren angekündigt hat (kann man im Internet nachlesen) und das jedem Keynesianer das Herz vor Freude hüpfen lassen muss. Zugleich geht er zum Protektionismus über, kündigt Handelsabkommen, errichtet Zollmauern, will Arbeitsplätze aus China in die USA zurückholen und lässt eine Mauer gegen Mexiko errichten (die sich gegen die billigen mexikanischen Arbeitskräfte richtet, weshalb US-Konzerne reihenweise ihr Herz für Mexiko entdecken).
Hand in Hand damit fährt er den Umweltschutz zurück, um die Ölförderung/ Fracking im eigenen Land voran zu treiben, unabhängig vom Nahost-Öl zu werden und insgesamt die industrielle Produktion auf Kosten der Natur zu fördern.
Charakteristisch ist, dass ein derartiger Protektionismus bisher immer eine Strategie für unterentwickelte Länder war, um hinter Zollschutzmauern die eigene Industrie zu entwickeln, die sonst keine Chance hätte, gegenüber der übermächtigen Auslandskonkurrenz zu bestehen. Für mich ist das ein Zeichen, wie weit die US-Industrie mittlerweile zurück geblieben ist, dass man zu derartigen Maßnahmen greifen muss.
Alle diese Maßnahmen (die zum Teil auch nur in Form von Ankündigungen existieren) kann man kritisieren, für blöd erklären etc. Aber man sollte aufhören, Trump für einen Halbidioten zu erklären (wie das unsere Presse von der BILD bis zur Süddeutschen Zeitung tut), sondern zunächst begreifen, dass hinter seiner Großsprecherei, seinem gewöhnungsbedürftigen Auftreten etc. keine beliebige populistische Masche steht, sondern eine politische Programmatik, die man erst einmal zur Kenntnis nehmen muss, bevor man sie verurteilt.

Mit diesem Programm stand bzw. steht Trump gegen die große Mehrheit der politischen Klasse seines Landes. Man darf nicht vergessen, dass er die Präsidentschaftswahlen nicht nur gegen die Demokraten gewonnen hat, sondern auch gegen seine eigene Partei, weil die Republikaner alles getan haben, um seine Kandidatur zu verhindern. D.h. die breite Mehrheit des herrschenden bürgerlichen Lagers lehnt seine Politik ab.
Die Kandidatin der Wallstreet war Hillary Clinton. Die Börse hat weder an Industriepolitik noch am Protektionismus Interesse, sondern macht ihre Profite im internationalen Finanzgeschäft. Clinton stand/steht für die Interessen dieser Kräfte, die sie mit allen Mitteln unterstützt haben, u.a. mit Hilfe der sog. liberalen New Yorker Presse, die nach wie vor die publizistische Speerspitze gegen Trump bildet. M.E. versucht die Wallstreet auch weiterhin alles, um Trump zu Fall zu bringen bzw ihn zumindest an die Kandare zu nehmen.
Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch außenpolitisch verkörpert/e Clinton eine andere Orientierung als Trump. In einem der wenigen Kommentare, die sich um eine objektive Sicht der Dinge bemühten, hat Jakob Augstein vor einiger Zeit am Beispiel des Syrien-Konflikts die Unterschiede zwischen Clinton und Trump herausgearbeitet und darauf hingewiesen, dass Clinton im Gegensatz zu Trump eine Politik der Kriegstreiberei betrieben hat (und wohl noch immer dafür steht): http://www.spiegel.de/politik/deutschland/was-fuer-donald-trump-spricht-...
In diesem Zusammenhang sollte man nicht vergessen, dass der von Clinton verdrängte Kandidat des linken Flügels der Demokraten, Bernie Sanders, wirtschaftspolitisch ein ähnliches Programm wie Trump vertrat bzw. vertritt. Bei den Vorwahlen in den Staaten, die später wahlentscheidend waren, konnte er Mme Clinton regelmäßig abhängen, nur hat das demokratische Parteiestablishment mit allen faulen Mitteln dafür gesorgt, dass Sanders nicht als Präsidentschaftskandidat aufgestellt wurde (das Bekanntwerden dieser Mittel hat die demokratische Parteivorsitzende den Posten gekostet und wurde von Trump weidlich gegen Clinton ausgeschlachtet).
So gut wie alle Kommentatoren waren sich aufgrund der erhobenen Meinungsumfragen einig, dass in einem Präsidentschaftsduell Sanders gegen Trump Sanders die Wahl gewonnen hätte. So aber hatten die Wähler nur die Wahl zwischen einer kriegstreiberischen Wallstreet-Kandidatin und einem großmäuligen Milliardär, der gegen das verhasste Washingtoner Establishment stand und ein Wirtschaftsprogramm verfocht, das ihnen mit neuen industriellen Arbeitsplätzen eine Zukunft ohne weiteren Abstieg in die Armut versprach. Diese Alternative sollte man sich vor Augen halten, bevor man den "dummen Massen" vorwirft, einem populistischen Großsprecher gefolgt zu sein.
Inwieweit Trump in der Lage ist, seine politischen Ziele in die Tat umzusetzen, muss sich noch zeigen. Um noch einmal die Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik zu zitieren: der von Trump vertretene Politikwechsel "dürfte zwar beim Kern seiner Wählerschaft Anklang finden, der unteren weißen Mittelschicht, die sich als Leidtragende der Globalisierung und einer kostspieligen internationalen Führungsrolle sieht. Er widerspricht aber den Präferenzen der traditionellen außenpolitischen Elite und dem institutionalisierten Selbstverständnis der außen- und sicherheitspolitischen Bürokratie". Der erste Sicherheitsberater Trumps, Michael Flynn, wurde vom Washingtoner Establishment bereits abgeschossen, weil er im Vorfeld weitgehende Vereinbarungen mit der Putin-Regierung abgesprochen hatte. Das Verhältnis zu Russland ist aber ein Schlüssel für die außenpolitische Umorientierung der USA mit Blick auf die NATO. Insoweit sind definitive Aussagen zur Zeit schwierig, zumal auch Trump selber widersprüchlich agiert.
Das ändert aber nichts daran, dass sich mit der Präsidentschaft Trumps ein tiefgreifender Wandel des us-amerikanischen Politik und der internationalen Beziehungen insgesamt ankündigt, egal wie schnell oder wie langsam dieser Wandel sich vollziehen wird.
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Auf einem eigenen Blatt steht die Frage, warum die deutsche Politik und Presse schon vor Monaten in den Wahlkampfmodus zugunsten Hillary Clintons geschaltet hat und sowohl die Bundestagsparteien als auch 90 Prozent der Presse weiterhin agieren, als ob sie Wahlkampf gegen Trump führen würden. Meines Erachtens liegt die Antwort auf der Hand: Trump steht gegen die Kernpunkte, auf denen der bürgerliche Nachkriegskonsens der Bundesrepublik beruht.
Zum einen gehört die Mitgliedschaft in der Nato zur (west-) deutschen Staatsräson. Im Windschatten der USA ließ sich jahrzehntelang gut fahren und waren die Widersprüche zwischen den europäischen Staaten überdeckt. Aus dieser Position heraus konnte man die völkerrechtswidrige Verbrechenspoltik der USA (Vietnamkrieg, Irakkrieg – um nur zwei Beispiele zu nennen) wohlfeil kritisieren, ohne die eigene NATO-Zugehörigkeit in Frage zu stellen. Gleichzeitig konnte man sich in der Illusion wiegen, unter "wohlwollender" US-Hegemonie eine europäische Einigung (unter deutscher Führung) zu erreichen.
Jetzt wird dieser Einigungsprozess nicht nur aus innereuropäischen Gründen (Brexit, Zunahme euroskeptischer Kräfte in den EU-Staaten), sondern zusätzlich durch den möglichen Rückzug der USA bedroht, denn nach einer Aufkündigung der US-Hegemonie über Europa besteht die Gefahr, dass die Differenzen zwischen den europäischen Nationalstaaten wieder in den Vordergrund treten.
Da die letztliche Stellung Washingtons zur Nato noch nicht feststeht, sondern hinter den Kulissen ein heftiger Kampf tobt, versucht die gesamte deutsche Politik m.E. zur Zeit mit allen Mitteln, auf den Sieg der Pro-Nato-Kräfte Einfluss zu nehmen, unter wechselseitiger Anfeuerung durch die Medien. Das bedeutet auch, dass man das alte Feindbild "Russland" publizistisch mit allen subtilen und weniger subtilen Mitteln aufpoliert, weil davon die Existenzberechtigung der Nato abhängt.
Außerdem ist die deutsche Politik naturgemäß auch aus wirtschaftlichen Gründen gegen Trump und seinen Handelsprotektionismus. Das hat nicht nur mit der Stellung Deutschlands als Exportweltmeister zu tun, sondern wiederum mit außenpolitischen Gesichtspunkten. Nach zwei verlorenen Weltkriegen hat die Bourgeoisie in den letzten Jahrzehnten Deutschland stets als "Handelsstaat" definiert (statt als "Machtstaat"). Der Versuch, die Führung in Europa zu übernehmen, war stets (und nur) gebunden an die wirtschaftliche Stärke Deutschlands.
Aber was wird die Folge sein, wenn die USA sich aus Europa zurück ziehen und Deutschland daran geht, selber wieder aufzurüsten und als Militärmacht aufzutreten? Birgt nicht jedes erneute machtstaatlich-militärische Auftreten die Gefahr in sich, dass das restliche Europa sich wieder gegen Deutschland zusammen schließt? Die Stellung Deutschlands in Europa und die damit verbundene außenpolitische Grundorientierung gerät also durch einen Rückzug der USA tiefgreifend in Gefahr.
Was genau die Zukunft bringt, weiß ich nicht, dazu ist viel zu viel im Fluss. Aber wie auch immer man sich zu Trump verhalten will – man sollte zuerst zur Kenntnis nehmen, welche politische Konzeption er überhaupt verfolgt. Stattdessen tun unsere Medien (zumindest 90% davon) Hand in Hand mit der Politik alles, um anstelle einer inhaltlich-sachlichen Auseinandersetzung mit Schaum vor dem Mund eine reine Stimmungsmache zu betreiben. Auch wenn Trump dafür genügend Angriffsflächen bietet, muss man konstatieren, dass die deutschen Medien durch die Bank nicht informieren, sondern indoktrinieren. Dabei fordert das Ende des Westens, wie wir ihn kennen, auf mehr als einem Politikfeld neue Antworten.

Verweise