Venezuela nach der Einberufung und Wahl einer neuen verfassungsgebenden Versammlung.

04.08.2017
Warum wir in diesem historischen Augenblick die Regierung Maduro gegen die rechtgerichtete Opposition unterstützen, aber gleichzeitig wenig Hoffnung in sie setzen.

1. Nach allen international anerkannten Regeln hat die Bevölkerung mit knapp mehr als 40% Wahlbeteiligung eine neue verfassungsgebende Versammlung gewählt, wie auch von der internationalen Wahlbeobachterkommission bestätigt wurde. Diese soll und wird in den nächsten Wochen zusammentreten, um eine Reform der Verfassung zu diskutieren und zu beschließen. Entgegen der allermeisten Erklärungen der internationalen Presse soll und kann diese nicht das Parlament ersetzen. Im Gegensatz zu den Meldungen der Mainstreampresse ist dies kein Schritt in Richtung Diktatur, wie die Opposition behauptet. Grundsätzlich ist die Medienhetze gegen die Regierung Maduro wieder einmal von besonderer Qualität. Kein Artikel, selbst in den linksliberalen Medien, indem nicht mindestens vor der totalen Machtübernahme durch Maduro oder sozialistische Partei gewarnt wird. Kein international bekanntes Medienorgan, das nicht auf Seiten oder im Sinne des reaktionären Antikommunismus berichtet, Hauptsache die Regierung wird zu Fall gebracht.

2. Diese Wahl wurde von der Regierung Maduro initiiert, um sich eine wenig Luft und Zeit im Kampf gegen die Opposition zu verschaffen. Auch wenn die einstige Unterstützung für den bolivarianischen Prozeß des Umbaus Venezuelas von 60% auf nun ca. 40% geschrumpft ist, so zeigt die Wahlbeteiligung trotz des Boykotts durch die Opposition doch an, dass die unteren Schichten sich nicht der reaktionären Opposition zugewandt haben.

3. Diese proamerikanische und durch und durch neoliberale Opposition hatte nie ihren Frieden mit dem Chavismus gemacht. Auch 18 Jahre nach der Einführung einer neuen Verfassung 1999 unter der Führung von Hugo Chavez Frias geht es ihr um die Zerstörung und kompletten Rückführung Venezuelas ins amerikanische System, und vor allem um den Zugriff auf die Öleinnahmen für die Oberschicht. Eine Machtübernahme der alten Oligarchie würde nicht nur die Liquidation des Chavismus, sondern der kompletten sozialen und politischen Bewegungen bedeuten. Niemand kann wirklich wollen, dass das passiert, außer den USA und den westlichen imperialistischen Staaten. Die gewalttätigen Angriffe durch die radikale Rechte zeigen klar an, dass mit dieser Opposition kein gemeinsamer Staat zu machen ist.

4. Im Gegensatz zum Konflikten in Syrien z.B. ist die Maduro - Regierung deshalb auf der Liste der USA und der EU, weil sie tatsächlich ,wenn auch in einer sehr stark modifizierten Form, den Zugriff der venezolanischen Oligarchie und des Imperiums auf die Ölrente blockiert, und durch ihre lateinamerikanische Außen und – Sozialpolitik nachwievor der Stachel im Hinterhof der USA darstellt. Klassenpolitisch repräsentiert die Regierung die Kontinuität des Chavismus.

5. Wir haben von Beginn an den bolivarianischen Prozeß vollkommen unterstützt und gleichzeitig jedoch auch Kritik geübt (http://antiimperialista.org/de/node/7279) . Jeder Schritt seit 1999 im Prozeß war darauf gerichtet den Volksmassen in Venezuela sowohl politisch als auch sozial mehr Einfluss zu geben. Die soziale und politische Entwicklung war darauf gerichtet die Oligarchie zu entmachten und den Staat zu demokratisieren. Dies gelang aber nur in einem gewissen Rahmen, und die Krankheiten des alten neoliberalen bürgerlichen Systems wuchsen ins Neue hinein. Korruption, Schwarzhandel und Ineffizienz im „neuen“ Staat einerseits und Bürokratismus und Klientilismus wuchsen in die Reihen des Chavismus hinein.

6. Zielsetzungen, die richtigerweise von Hugo Chavez ausgegeben wurden, wie die Diversifizierung der venezolanischen Ökonomie oder die Ernährungssouveränität des Landes herzustellen, und damit die Abhängigkeit von den Ölexporten zu überwinden, wurden nie wirklich umgesetzt. Das führte dann mit dem Sinken des Ölpreises in den vergangenen Jahren zu einer Finanzkrise im Lande. Außerdem hat es die Regierung Maduro nie geschafft die galoppierende Inflation in Griff zu bekommen. Die Existenz einer neuen Bourgeosie, der sogenannten Bolibourgesie, die vom neuen System profitiert und es verteidigt, aber gleichzeitig jeden weiteren Schritt hin zur gerechten Verteilung und Produktion unterbindet, ist schon lange in aller Munde. Und diese neue Schicht an Bürokraten und Korrupten war in der Lage den Prozeß anzuhalten und jede neue Initiative zu unterbinden. Dies alles hat dann 2015 zum Sieg der Opposition bei den Parlamentswahlen geführt. Ab diesem Zeitpunkt ist es zu einer kompletten Blockade von Parlament und Regierung gekommen, die die Opposition bewußt genutzt hat, um die Lage im Lande mit Hilfe des Auslandes zu eskalieren.

7. Eine Erneuerung oder auch eine Revitaliserung des Prozesses wird sich im Konflikt der nächsten Monate entwickeln müssen. Entweder er wird sich aus den basisorientierten Kräften des Chavismus, die es nachwievor gibt und entsprechenden Verbündeten im Apparat der Partei finden, oder es bedarf einer Erneuerung der Prozesses aus den unabhängigen chavistischen Kräften außerhalb der Partei. Beide werden aber notwendigerweise den Klotz am Bein, der die Hauptverantwortung für momentane Krise im Innern spielt, loswerden müssen, wenn sie eine ernsthafte prochavistische Alternative gegen die reaktionäre Opposition präsentieren und durchsetzen wollen. Sicher ist leider nichts, aber notwendig!

03.08.2017

Venezuela: Transition & Revolution Diskussionspapier aus den sozialen Bewegungen Venezuelas zu den Wahlen und den Herausforderungen des bolivarischen Prozesses - amerika21.de/analyse/62959/venezuela-transition

Nachruf auf den verstorbenen Präsidenten Venezuelas Hugo Chávez Frías - http://www.antiimperialista.org/de/node/123646
Venezuela: aufs Ganze gehen? Oppositionsführer propagieren den "totalen Aufstand", die USA mischen sich zunehmend ein - https://amerika21.de/analyse/181262/venezuela-aufs-ganze-gehen