Für Meinungsfreiheit und einen offenen Diskurs

12.05.2019
Brief von Uschi Schreiber an Birgit Hebein
Der nachstehend veröffentlichte Brief wurde von Uschi Schreiber, Kulturarbeiterin und ehem. Stadtplanerin, die gemeinsam mit dem Aktionsradius-Team den Auftritt von Hanin Zoabi kurzfristig im Aktionsradius vor ca. 95 interessierten Zuhörer_innen ermöglichte, verfasst. Es ist ein Appell für die Meinungsfreiheit und eine wichtige Intervention, Solidarität mit Palästinenser_innen im politischen Diskurs nicht zu unterdrücken und – ohne hinzuhören – als antisemitisch zu brandmarken. Ein Appell, den sie mit vielen anderen Menschen teilt, darunter auch zahlreiche jüdische Friedensaktivist_innen.

 
Uschi Schreiber an Birgit Hebein (10.5.2019)
 
Sehr geehrte Frau Gemeinderätin, liebe Birgit Hebein!
 
 
Ich schreibe Ihnen, weil es mir ein Anliegen ist, auch Ihnen gegenüber ein persönliches Statement zu den Vorgängen rund um die Veranstaltung/Hanin Zoabi abzugeben.
 
Ich habe die Turbulenzen rund um diese Veranstaltung mitverfolgt, mich auch aktiv dafür eingesetzt und den Appell unterstützt, die Veranstaltung wie geplant im WUK stattfinden zu lassen. Ich habe es anfangs kaum geglaubt, dass auch von Ihrer Seite politisch interveniert wird und habe die WUK-Absage mit großem Bedauern zur Kenntnis genommen. Persönlich bin ich entsetzt, und gegenüber Gästen wie Hanin Zoabi auch beschämt darüber, dass in unserer Stadt politische Intervention und politischer Druck die Meinungs- und Diskussionsfreiheit gefährden. Und dass dieser Druck ausgerechnet von grüner Seite ausgeht. Hierorts wird zu Zusammenhalt und Mut aufgerufen, sich gegen den aufkommenden Rechtspopulismus in Europa zu stellen – gleichzeitig aber einer Frau, die sich mutig und couragiert gegen Unterdrückung und Rechtspopulismus im eigenen Land einsetzt, die Auftrittsmöglichkeit entzogen. Ich persönlich finde das skandalös, doppelbödig und eine echte Gefährdung unserer Demokratie und Freiheit. Persönlich bin ich von Ihnen und der grünen Stadtpolitik sehr enttäuscht. Wie Ernst zu nehmen sind die grünen Positionen – bspw. zur EU-Wahl („Wer braucht noch Frieden? Du?“) – Das sind rhetorische Fragen und leere Hülsen, wenn man nicht den Mut hat, dort für Frieden einzutreten, wo Unterdrückung und Krieg stattfindet. 
 
 
Hanin Zoabi ist eine mutige Frau und engagierte Friedensaktivistin. Sie ist die erste arabische Frau im israelischen Parlament, der Knesset; sie setzt sich für gleiche Rechte für alle ein, insbesondere für Frauen, für friedliche Lösungen im Nahostkonflikt. Ich habe Hanin Zoabi persönlich kennen gelernt und sehe es als wertvolle Gelegenheit, ihre Erfahrungen und Einschätzungen zur Situation in ihrem Land kennen zu lernen. Man kann über den Nahost-Konflikt unterschiedlicher Meinung sein, aber um sich ein eigenes Bild zu machen, müssen die verschiedenen Meinungen und demokratischen Stimmen auch zugelassen und gehört werden. Morgen Samstag (11.5.2019) ist Hanin Zoabi noch in Wien, und es wäre die Gelegenheit, dass auch Sie mit ihr sprechen, im Rahmen eines persönlichen Treffens. Falls Sie dies einrichten können und daran interessiert sind, wenden Sie sich an Irina Vana, die dieses Treffen organisieren könnte:
Irina Vana, irina.vana@gmx.at. Der israelische Autor und Friedenspreisträger David Grossmann hat in seiner Friedensrede zum Nahhostkonflikt gesagt: „In einem andauernden Konflikt wie diesem Mensch zu sein, bedeutet für mich vor allem: hinschauen.“ – Ein Gespräch mit Hanin Zoabi wäre für dieses „Hinschauen“ eine gute Gelegenheit. Zusätzlich zum wertvollen Erfahrungsbericht wäre ein persönliches Treffen mit Hanin Zoabi aber auch ein Signal an die vielen Menschen, die über Ihre politische Intervention zur WUK-Absage sehr enttäuscht sind.

Als künftige Wiener Vizebürgermeisterin setzen viele Menschen große Hoffnungen in Sie. Viele, die ihre aktive Intervention zur WUK-Absage mitverfolgt haben, sind nun schwer enttäuscht.
Ich habe gehört, dass Sie sich in Ihrer Argumentation auf einen Gemeinderatsbeschluss beziehen. Wenn dem so ist, dass ein Gemeinderatsbeschluss zur Folge hat, dass eine Frau wie Hanin Zoabi in Wien keinen Auftrittsort findet und nicht sprechen darf, dann wäre es aus meiner Sicht an der Zeit, diesen Gemeinderatsbeschluss neu aufzurollen und zu diskutieren. Als künftige Vizebürgermeisterin lade ich Sie dazu ein, einen Antrag auf Neu-Diskussion dieses Gemeinderatsbeschlusses einzubringen, um Sprechverboten und Veranstaltungszensur in Wien künftig keinen Platz zu geben. Der Widerstand der Palästinenser gegen Besatzung und Vertreibung hat aus meiner Sicht mit dem europäischen, historischen Antisemitismus nichts zu tun. Ein erster Schritt zur persönlichen Meinungsbildung könnte das persönliche Gespräch mit Hanin Zoabi und den Veranstaltern sein, den vielen Friedens- und Solidaritätsplattformen. Darüber hinaus möchte ich auf die sehr eindrucksvolle Rede der Preisträgerin des Göttinger Friedenspreises 2019, Iris Hefets, Vorsitzende der «Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost», hinweisen. In Ihrer Rede „NICHT IN MEINEM NAMEN“ beschreibt sie die friedlichen Proteste der palästinensischen Zivilbevölkerung und auch den Ablauf, das Muster und die Hintergründe der politischen Verfolgung und Zensurversuche. (https://www.infosperber.ch/data/attachements/Rede%20von%20Iris%20Hefets.pdf) Die Rede liegt auch als Attachment bei.
 
Iris Hefets ist ein Beispiel dafür, dass politische Verfolgung, Zensur und Antisemtismusvorwürfe auch nicht vor jüdischen FriedensaktivistInnen Halt machen.
 
Ein anderes Beispiel ist Lizzie Doron. Am 19. März 2019 hat die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron, Tochter einer Holocaustüberlebenden, im Aktionsradius Wien darüber berichtet, wie sie selbst aus einer preisgekrönten Repräsentantin der jüdisch-israelischen Second-Generation-Literatur in Israel zur „Verräterin“ wurde, weil sie als engagierte Friedensaktivistin in ihren letzten beiden Büchern nicht nur die jüdische, sondern auch die palästinensische Tragödie beleuchtet. Damit hat sie in Israel „eine rote Linie“ überschritten. Ihre beiden letzten Bücher haben in Israel keinen Verlag mehr gefunden, ihr Mann hat als Steuerberater seine Klienten verloren, Freunde haben sich abgewandt. Lizzie Doron lebt nun mit ihrem Mann in Berlin und kann nur mehr in Deutschland publizieren. Auch ihr Sohn ist nach Deutschland gegangen, um als Künstler dort zu arbeiten. Es ist schwer zu verstehen, dass heute viele junge Israelis, vor allem jene der dritten Generation nach dem Holocaust, ausgerechnet wieder nach Deutschland gehen, um dort zu leben. Manche um der Kunst willen, der größeren Freiheit willen oder auch als Protest gegen die angespannte politische Situation in ihrer Heimat. Die Zeitschrift Nu hat darüber berichtet. Angehängt ein Interview mit Lizzie Doron anlässlich „70 Jahre Israel“ (2018) sowie ein Presseartikel über diese eindrucksvolle Frau: https://www.dw.com/de/lizzie-doron-israel-70-jahre-unabh%C3%A4ngigkeit/a-43718160https://www.nzz.ch/feuilleton/lizzie-doron-eine-verraeterin-ich-kann-die-geschichte-meiner-feinde-erzaehlen-ld.1297068
 
Für Bruno Kreisky war es selbstverständlich, mit beiden Seiten des Nahostkonflikts zu sprechen.  Österreich und Wien haben sich damit weltweit Anerkennung als Friedensstifter und Vermittler erworben.
 
Heute leben wir in einer Zeit, in der wir um Meinungs- und Diskussionsfreiheit wieder kämpfen müssen!
 
Ende April hat Konrad Paul Ließmann in der Neuen Zürcher Zeitung die Frage gestellt „Woher kommt dieser fanatische Hass auf jene, die für sich die Freiheit des Denkens noch in Anspruch nehmen wollen?“ – Er hat aus dem Bereich der Universitäten berichtet, über einen besorgniserregenden Ungeist, der sich breit macht, vom Ruf nach Vorschriften, Verboten, Einschränkungen bis hin zur Forderung von Veranstaltungsabsagen. Als Beispiel hat er ein kürzlich stattfindendes Symposion an der Universität Frankfurt zitiert, das von einer renommierten Islamwissenschafterin organisiert wurde. Weil auch die Islamkritikerin Necla Kelek eingeladen war, wurde die Absage des Symposions und sogar die Entlassung der Professorin gefordert.
 
Konrad Paul Ließmann schreibt: „Der Vorwurf des antiislamischen Rassismus (und bezogen auf die Veranstaltung/Hanin Zoabi könnte man hier auch „Vorwurf des Antisemitismus“ einsetzen) ist in diesem Zusammenhang zwar vollkommen unzutreffend, zeigt aber, dass die Denunziation, die sich als Empörung tarnt, mittlerweile in bestimmen Kreisen zum Common Sense geworden ist.“ Und weiter schreibt er: „Dass jene, die sonst mit der Phrase «Wehret den Anfängen» schnell bei der Hand sind, hierzu schweigen und keine Anfänge sehen wollen oder können, stimmt auch nicht gerade zuversichtlich.“
 
Ich habe in den letzten Jahren ein paar Mal ähnliche Vorfälle im Wiener Kulturbetrieb als Beobachterin verfolgt, Absagen im Amerlinghaus und anderswo. Ich mache mir Sorgen um die Demokratie und freie Meinungsäußerung in unserer Stadt. Auch in meiner eigenen Kulturarbeit der letzten 30 Jahre habe ich einige Male Shitstorms und Antisemitismusvorwürfe / Rassismusvorwürfe erlebt. Und der Freiraum wird enger, das ist auch mein persönlicher Eindruck. Daher möchte ich mich auch im Rahmen meiner Arbeit für Meinungs-, Diskurs- und Diskussionsfreiheit einsetzen und gegen politische Veranstaltungsinterventionen aussprechen, auch gegen vorschnelle Antisemitismus-/Rassismusvorwürfe, die Menschen zum Schweigen bringen sollen. In meiner Veranstaltungstätigkeit habe ich diese zerstörerischen Mechanismen bereits einige Male kennengelernt. Man kann über politische und gesellschaftspolitische Themen unterschiedlicher Meinung sein und auch sachlich streiten, aber dafür braucht es den Freiraum, dass alle Stimmen sich artikulieren dürfen und auch gehört bzw. diskutiert werden können. Nur so kann sich unsere Demokratie weiterentwickeln. Durch Vorschriften, Verbote und Veranstaltungszensur manche Stimmen mundtot zu machen, halte ich persönlich für grundlegend falsch und auch gefährlich für Demokratie und Frieden. Auf der Basis von Unrecht und Einseitigkeit ist kein Frieden möglich, sondern wird weiter Hass gesät und Krieg angeheizt.
 
 
In diesem Sinne appelliere ich an Sie als künftige Vizebürgermeisterin: 
Treten Sie für die Freiheit des Denkens, Sprechens, Schreibens und Veranstaltens aktiv ein!
 
Setzen Sie eindeutige Signale, verhindern Sie Zensur und nutzen Sie Ihre politische Funktion, unsere Stadt als Ort für Meinungsfreiheit, Diskussionsfreiheit und Friedensarbeit zu positionieren.
 
Ich bin gerne auch zu persönlichen Gesprächen bereit, falls ich hierzu einen Beitrag leisten kann.
 
Herzlichen Gruß,
 
Uschi Schreiber
 
 
Nachwort der Palästina Solidarität Österreich
 
Der „Wiener Gemeinderatsbeschluss betreffend keine Zusammenarbeit mit der antisemitischen BDS-Bewegung („Boykott, divestment and sanctions“)“  darf nicht dazu missbraucht werden, Palästinenser_innen und den mit ihnen solidarischen Aktivist_innen die Möglichkeit zur Meinungsäußerung zu nehmen.
 
In Reaktion auf den politischen Druck, die am Donnerstag den 9. Mai ursprünglich im WUK geplante Veranstaltung „Kolonialismus und/oder Demokratie“ mit der Knessetabgeordneten Hanin Zoabi abzusagen, wurde Birgit Hebein, die als Vertreterin der Wiener Stadtregierung mit Verweis auf die Erklärung gegen Antisemitismus dem WUK die Absage der Veranstaltung nahe legte, mehrfach zum Gespräch eingeladen. Leider wurde diese Einladung nicht angenommen.
Der oben veröffentlichte Brief wurde von Uschi Schreiber, Uschi Schreiber, Kulturarbeiterin und ehem. Stadtplanerin, die gemeinsam mit dem Aktionsradius-Team den Auftritt von Hanin Zoabi kurzfristig im Aktionsradius vor ca. 95 interessierten Zuhörer_innen ermöglichte, verfasst. Es ist ein Appell für die Meinungsfreiheit und eine wichtige Intervention, Solidarität mit Palästinenser_innen im politischen Diskurs nicht zu unterdrücken und – ohne hinzuhören – als antisemitisch zu brandmarken. Ein Appell, den sie mit vielen anderen Menschen teilt, darunter auch zahlreiche jüdische Friedensaktivist_innen. Uschi Schreiber spricht sich in ihrem Brief dafür aus, den Dialog auch zukünftig in alle Richtungen offen zu halten und daher auch politische Entschlüsse und gesetzliche Rahmenbedingungen, die diesen Dialog verhindern, kritisch zu hinterfragen und neu zu diskutieren:
Wenn dem so ist, dass ein Gemeinderatsbeschluss zur Folge hat, dass eine Frau wie Hanin Zoabi in Wien keinen Auftrittsort findet und nicht sprechen darf, dann wäre es aus meiner Sicht an der Zeit, diesen Gemeinderatsbeschluss neu aufzurollen und zu diskutieren. Als künftige Vizebürgermeisterin lade ich Sie dazu ein, einen Antrag auf Neu-Diskussion dieses Gemeinderatsbeschlusses einzubringen, um Sprechverboten und Veranstaltungszensur in Wien künftig keinen Platz zu geben.

In diesem Geist wollen wir auch unsere Solidaritätsarbeit mit den Palästinenser_innen, ihren politischen Repträsentant_innen, zu denen sich Hanin Zoabi zählt und ihren legitimen Anliegen in Österreich weiterhin vorantreiben. Wir wollen, wie von Hanin Zoabi in ihrem Vortrag aufgezeigt, Perspektiven entwickeln, die dazu beitragen, ein gleichberechtigtes Leben von Palästinenser_innen und Jüd_innen in der Region zu ermöglichen. Denn nur die demokratische, gleichberechtigte Teilhabe am Leben und ein Ende der expansiven Landpolitik Israels verspricht langfristig Frieden für die dort lebenden Menschen.
 
Auf dieser Grundlage stehen wir für Gespräche mit der Stadtverwaltung gerne zur Verfügung.

 
Palästina Solidarität Österreich
 
 

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