Gegen die Emotionalität oder steckt euch eure Betroffenheit in den Arsch!

16.10.2019
Zu Handke II
Von Tatjana Kojić
Bereits bekanntes Intro oder doch nicht?

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Krieg führt zu Zerfall und Morbidität - nicht nur in Jugoslawien-, führt zu Aufrechnung samt Aufzählung der Toten, die es bis heute nicht zur Ziffer eines Genozids geschafft hat, trotz vieler Bemühungen. Dieser Zerfall hat einen Staat zerstört und neue alte Staaten geschaffen, die nun brav sich andienen, inklusive des ehemaligen Bewahrers, der es nicht geschafft hat, zu bewahren, was schon längst von innen bereit war, fortzugehen.

Die Sezessionen der Kriege im ehemaligen Jugoslawien (secessere von zurückziehen, entziehen), nicht zuletzt aufgrund der geopolitischen Nähe und der historischen engen Verwebungen von Herrschaftsinteressen am Balkan, die immer wieder gescheitert sind, wurden vor allem in Westeuropa unter einem ganz bestimmten Wahrnehmungsmodus betrachtet: dem des ehemaligen Herren, der, obdachlos geworden ob der zwei großen Niederlagen am Balkan, in den 1990er Jahren wieder die Chance sah, etwas zurückzubekommen, was ihm einst gehörte. Aber auch innerlich war der Graben zwischen den geeinten Völkern des großen sozialistischen Staates immer tiefer geworden. Deshalb konnte man in Westeuropa innerhalb sehr kurzer Zeit einen Konsens finden, wie und was vom Kriegsgebiet des Nachbarn wahrgenommen wird und wie gefälligst darüber gesprochen und geschrieben werden soll.

Serbien trägt also in den meisten westeuropäischen Köpfen die Hauptschuld, ja, auch manchmal die alleinige Schuld am Ausbruch und an der Dauer des Krieges. Bosnien und Kroatien sind die zu beklagenden Opfer einer serbischen Expansionspolitik. Dass die deformierte kommunistische Partei Serbiens zu Beginn militärisch äußerst zaghafte Versuche unternommen hat, das Staatengebilde zu retten scheint nach wie vor völlig unterzugehen.

Es gab keine Expansionspolitik seitens der serbischen linken Regierung in den 1990er Jahren. Es war ein zum Scheitern verurteilter Versuch, zuerst den zerfallenden Staat zu retten und dann die serbischen Minderheiten in Kroatien und Bosnien zu schützen, nachdem es zu keinen politischen Einigungen kam, wie es finanziell und politischen mit den kleinen „unabhängigen“ Staaten weitergehen soll. Dass es im Krieg seitens der serbischen Seite zu Massakern kam, leugnet Handke nicht und nirgendwo, denn es ist nicht die Intention seiner Texte zu Jugoslawien, Gräuel zu leugnen.

Viel mehr befasst er sich mit den anderen, denjenigen, die auf der medialen Abschussliste stehen: den Serben. Die Schuld Handkes liegt einzig und allein bei der Frage nach der Schuld. „Wer also war der Aggressor? War derjenige, der einen Krieg provozierte, derselbe wie der, der ihn anfing? Und was heißt anfangen? Konnte auch so ein Provozieren ein Anfangen sein?““ (Eine winterliche Reise, S.35)

In keinem einzigen Text schreibt er, dass die Politik Serbiens korrekt wäre. Die Medien, so klagt er an, „äußern jenes Gift ab, das nie und nimmer heilsam ist: das Wörtergift.“ (WR, S. 127) Und noch immer und immer stärker befinden wir uns im Entweder-Oder-Denken, wir entscheiden, wer das Opfer und wer der Täter sein soll. Sympathiewerbung als Ziel der medialen Manipulation.

Das Thema Handke und Jugoslawien wird immer aktuell bleiben, weil es vor allem für Europa die Kriege im ehemaligen Jugoslawien waren, die die „Lüge zur Weltordnung gemacht haben“, wie es im Roman „Der Prozess“ von Franz Kafka der Angeklagte Josef K. ausdrückt.

 

 

Warum überhaupt Texte zu den Zerfallskriegen? Weil Propaganda gut sein kann!

Für Handke wurde Serbien Opfer der Kriege: zuerst durch die österreichisch-ungarische Monarchie, dann durch die Nationalsozialisten und 1999 durch die NATO, die er als die Nachfolger des faschistischen Aggressors deutet. Auch sieht Handke Serbien als Nachfolger Jugoslawiens an, was politisch-historisch korrekt ist, denn Milošević hatte zuerst politisch und dann militärisch versucht, Slowenien und Kroatien von der Sezession von Jugoslawien abzuhalten. Und Jugoslawien steht für Handke in einer antifaschistischen Tradition, schließlich hatte sich Jugoslawien als einziges Land am Balkan praktisch ohne Hilfe seitens der UdSSR selbst vom nationalsozialistischen Joch befreit. Der Bezug zu seinen slowenischen Wurzeln ist sicherlich auch maßgeblich für seine kritische Haltung. Hierzu schäumte die La Stampa am 12. Oktober 2019: „Die Jury beging jedoch einen historischen Fehler: sie ignorierte den Skandal um die militante, propagandistische und eitle Unterstützung, die er dem Kriegsverbrecher Slobodan Milošević zugesprochen hat. Unter dem Vorwand der von der Mutter geerbten Liebe für die balkanische Konföderation, verleugnete er brutale ethnische Säuberungen serbischer Milizen.“

Immer noch Sturm also.

Und von wem sonst als der Mutter soll man Liebe ernten und erben, sei es auch die Liebe zur sozialistischen Föderation?

Handke wird im Zuge der Vergabe des Literaturnobelpreises vom bosnischen Schriftsteller Saša Stanišić als Genozidrelativierer beschimpft, Miljenko Jergović, ebenso bosnischer Schriftsteller, bezeichnet die ehemalige politische Führung als faschistisch[1]. Faschisten, Genozidler immer und überall, insbesondere auch auf Twitter.

Überhaupt spielte der Topos des Zweiten Weltkriegs eine gewichtige Rolle in den Kommentaren zum Jugoslawienkrieg, sowohl auf der Seite der Politiker, Journalisten und allgemein der Kriegsbefürworter, als auch auf Handkes Seite. Eine Kriegsbeteiligung des Westens wurde durch die bewusst herangeführte Analogie zum Nationalsozialismus (Milošević gleich Hitler, Moslems seien von Serben in Konzentrationslager gesperrt worden, Parallelisierung von serbischen und nationalsozialistischen Kriegsverbrechen etc.) legitimiert und Handkes Parteinahme für Serbien wurde „vielfach als Rechtfertigung eines faschistischen Systems gedeutet“ (Düwell 2007, S. 580)[2].

Man kann seine Jugoslawientexte als Propaganda bezeichnen, die zum Denken und Nachdenken, zum Überdenken anregen: War Milošević als jugoslawischer Politiker die fortschrittlichere Lösung gegenüber den Mininationalstaaten, die nun als Resultat der ethnisch bedingten Spaltung von Europa subventioniert und damit beherrscht werden? Was wäre gewesen, wenn Jugoslawien weitergelebt hätte? Ist die ausländische Kapitalisierung der serbischen Wirtschaft tatsächlich ein Schritt nach vorne? Was ist mit den getötet-ermordeten serbischen Frauen, Kindern, Männern, den Flüchtlingen[3]? Ein verarmter Staat wie Serbien nahm über 600.000 Flüchtlinge auf, viele leben noch heute in Baracken und Hallen – das hat die Gesellschaft in Serbien sehr stark geprägt. Gewalt spürt man überall, nicht nur am Fußballplatz.

Seine individuellen Erfahrungen, die er als Reisender und Beobachter in „Rest-Rumpf-Jugoslawien“[4], also Serbien, gemacht hat, entfachten sehr wohl eine friedensstiftende Wirkung, indem sie rieten: Glaubt nicht dem fast einstimmigen Kriegsgeheul der Journaille, lest zwischen und neben den Zeilen, seid sorgsamer im Umgang mit Medienbildern, textlichen und bildlichen, stimmt gegen die „Wort- und Bilderpornographie“[5], fragt „warum“, auch unter Tränen.

Auch zählt Handke Orte in Serbien auf, wo im Zweiten Weltkrieg die deutsche Wehrmacht Kriegsverbrechen verübte und die 1999 auch Ziele der NATO waren:

„Das gebombte Pančevo, das gebombte Priština, das gebombte Kragujevac (wo im Zweiten Weltkrieg die Deutschen, als Vergeltung für Partisanenangriffe, die große Massenerschießung der halbwüchsigen Schüler veranstaltet hatten(…)“[6]

 

Handke ist nicht Sartre und der Literaturnobelpreis ist nicht der Friedensnobelpreis

Man könnte Handke als Preise-Ablehner bezeichnen, denn schon 1984 lehnte er den Anton-Wildgans-Preis der Vereinigung österreichischer Industrieller ab. Thomas Bernhard hatte 1967 die Verleihung desselben abgesagt, weil er in deren monatlich erscheinender Publikation als „genialster Opportunist der Nachkriegszeit“ bezeichnet wurde.[7] 2005 ließ Handke über den Suhrkamp Verlag verlautbaren, er würde „grundsätzlich keine Preise mehr“ annehmen.[8]

Als 2007 Handke der Heinrich-Heine-Preis verliehen werden sollte, kam es zu Protesten aufgrund seiner pro-serbischen Haltung und er verzichtete auf die Annahme. Das Berliner Ensemble startete eine Spendenaktion, um Handke den „Berliner Heinrich-Heine-Preis“ zu verleihen, den Handke jedoch einer serbischen Enklave schenken wollte. Anfang April 2007 übergaben dann Peter Handke und Claus Peymann[9], der Intendant des Berliner Ensembles, tatsächlich einen Scheck über 50.000 Euro an die serbische Enklave Velika Hoča im Kosovo.[10]

Im März 2014 gab es in Norwegen Widerstand gegen die Verleihung des Ibsen-Preises an Handke. Er wurde mit dem norwegischen Schriftsteller Knut Hamsun verglichen, der im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen kollaborierte (und seine Nobelpreis-Medaille an Joseph Goebbels weitergab). Die Vorwürfe sind altbekannt: „Bagatellisierung und Trivialisierung von Kriegsverbrechen und die Rede an Slobodan Miloševićs Grab“ und Handke habe „mit der Weltgemeinschaft gebrochen“.[11]

Peter Handke ist nun gut beraten, den Literaturnobelpreis anzunehmen. Wäre die Ablehnung nicht doch eine Art Schuldeingeständnis und ein Kniefall vor dem westlichen Weltgericht? Wenn man der Journaille, den Geiferern Rushdie Salman, Stanišić Saša, Thaci Hashim und wie sie alle heißen zuhört, so hat sich an der westlichen Haltung zu den Kriegen in Jugoslawien rein gar nichts verändert, kein Deut von geschichtlicher Nachanalyse seitdem die Reaktionen der Presse, der Politiker und zum Großteil der westlichen „Intelligenzija“ (Alain Finkielkraut, Jürgen Habermas u.a.) seit den 1990er Jahren auffallend negativ gegenüber der serbischen Politik ausfielen.

Heute, am 15. Oktober wurde Saša Stanišić der Deutsche Buchpreis verliehen. In seiner sprachlich wackeligen Rede hackte er auf Handke herum.
Es ist wohl so, dass die deutsche Intelligenzija es nicht verwinden kann, dass einer, der aus dem Mainstream ausschert, geehrt wird, weswegen sie jemanden aus dem Mainstream ehren müssen.

Und alle sind immer noch betroffen.

Gerne daher als Abschluss ein schönes Zitat von Handke:

„Ihr Medien entwirklicht oder, besser, verformt jedes Mitgefühl, indem ihr zuerst mitbombt und dann die Stories der Gebombten verkauft, so wie eure Staaten, deren Spießgesellen ihr seid, zuerst Zerstörer waren und dann Friedensrichter spielen. ,Betroffenheit'! Das kann ich schon überhaupt nicht hören. Gehen Sie nach Hause mit Ihrer Betroffenheit, stecken Sie sich die in den Arsch!" [12]

 

 

 



[1] https://www.derstandard.at/story/2000109833186/kritik-an-handke-er-hat-serbien-ernsthaft-beleidigt

[2] Düwell, Susanne. 2007(a). Der Skandal um Peter Handkes ästhetische Inszenierung von Serbien. In: Neuhaus, Stefan und Holzner, Johann (Hg.) Literatur als Skandal. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG. 2. Auflage 2009. S. 577-587.

[3] Folgende Zahlen hat das Kommissariat für Flüchtlinge und Migration der Republik Serbien (KIRS) veröffentlicht: 538.000 Flüchtlinge und 72.000 Kriegsversehrte wurden 1996 offiziell vermerkt. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Kroatien (ca. 70%). Die Registrierung der Flüchtlinge aus dem Kosovo war im Jahr 2000 abgeschlossen und zählte 187.129 Menschen, die keinen Flüchtlingsstatus haben, sondern als Vertriebene gelten, da es sich ja um das Territorium Jugoslawiens bzw. Serbiens handelte, wo sie vertrieben worden sind.

Quellen: http://www.kirs.gov.rs/docs/StanjeIPotrebeIzbeglickePopulacije.pdf sowie http://www.kirs.gov.rs/docs/statistika/Registracija%20Lica%20Raseljenih%.... Übersetzung: T. Kojić.

[4] Diesen Ausdruck verwendet Handke.

[5] Unter Tränen fragend, S. 155

[6] Unter Tränen fragend, S. 19. Während des Massakers in Kragujevac wurden an einem Tag, am 21. Oktober 1941, insgesamt 2.323 Menschen, darunter 300 Schüler und 18 Lehrer des örtlichen Gymnasiums, von der deutschen Wehrmacht erschossen.

[7] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13512941.html

[8] http://www.bz-berlin.de/archiv/peter-handke-will-keine-preise-mehr-artic...

[9] Claus Peymann hat seit 1966 elf Theaterstücke von Peter Handke inszeniert.

[10] http://www.politika.rs/rubrike/Svet/t24583.lt.html

[11] http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/uebersicht/widerstand-in-norwegen-g...

[12] (Standard, Printausgabe, 3./4.06.2006)