Site-Logo
Site Navigation

Jerusalem, mon amour

23. May 2002

Warum ist der Palästinenser Saleh Bakri zurückgetreten?

Im Schauspielhaus Wien wurde von 10. bis 31. März 2002 das Experimentaltheaterstück “Jerusalem, mon amour” gespielt. Das Stück vom in Wien lebenden israelischen Regisseur Arian Berg handelt um ein Medienduell zwischen einem Palästinenser und einem Israeli, die, moderiert von einer Vertreterin der Medien, ihren Anspruch und ihr Geschichtsbild darstellen. Als Darsteller waren Airan Berg selbst, Saleh Bakri, Kerstin Gaderbauer und Alexandra Schmid vorgesehen. Saleh Bakri ist kurz vor der Premiere (bei der Probe der vorletzten Szene) zurückgetreten und verreist. Als Grund gibt das Schauspielhaus an, “Saleh sei aufgrund der politischen Lage nach Israel zurückgekehrt”. Da weder Airan Berg noch das Schauspielhaus die tieferen politischen Gründe des Rücktritts Bakris angeben wollen, veröffentlichen wir dieses Interview, das uns Saleh Bakri vor seiner Abreise im März 2002 gegeben hatte.

Herr Saleh Bakri, Sie arbeiteten seit Dezember auf das Theaterstück “Jerusalem, mon amour”. Können Sie uns erklären, worum sich das Stück handelt?
Das ist ein Experimentaltheaterstück. Ich lernte Airan in Tel Aviv beim Beginn der Intifada 2000 kennen. Als er die Stelle im Schauspielhaus in Wien erhielt, rief er mich an. Er schlug ein Theaterstück vor, das der Form der Standup-Comedy nahsteht und diejenigen, die in Jerusalem verliebt sind, behandelt. Da ich Moscheen und Kirchen nicht mag, fand ich die Idee gut. So kam ich nach Wien und wir begannen am 6. Dezember 2001 mit der Arbeit. Anfangs lag kein Konzept vor und wir hatten nur den Titel “Jerusalem, mon amour”. Wir haben dann gemeinsam an ein Konzept gearbeitet. Je tiefer wir in die Arbeit gingen, desto klarer wurden uns die Schwierigkeiten. So ließen wir das Konzept der Standup-Comedy sein und entschieden uns für einen komplexeren Weg, der den palästinensisch-israelischen Konflikt behandelt. Ein in Wien lebender deutscher Regisseur namens Anseln war zu Beginn auch beteiligt, trat aber zurück, weil er keinen Bezug zu diesem Konflikt hatte.
Da Airan, obwohl seit zwanzig Jahren in Wien, israelischer Herkunft ist, konnte ich seine Sympathie für Israel einsehen und verstehen. Ich versuchte immer dies zu berücksichtigen, aber ohne dass ich auf mein und meines Volkes Recht auf Selbstbestimmung verzichte. So fing die Arbeit an, und so der Konflikt. Es handelt sich um ein TV-Talkshow, wo ich und Airan die Rollen eines Palästinensers und eines Israeli spielen, die eine Debatte führen. Es geht um die Medien und den Konflikt. Jeder von uns schrieb seine eigene Rolle. Das war für mich nicht einfach, weil ich ein Darsteller und kein Regisseur bin, während ich die ganze Zeit der Wichtigkeit meines Regisseur-Seins bewusst war. Trotz aller Schwierigkeiten versuchte ich, in diesem Stück / dieser Debatte ein Gleichgewicht gegenüber Airan zu behalten, obwohl er ein erfahrener Regisseur ist und ich nur ein Darsteller bin. Ich wollte eine vollständige Kooperation haben, während er Szenen schrieb, die ich politisch nicht akzeptieren konnte, auf die er aber nicht verzichten wollte. Das waren Szenen, die den israelische Standpunkt rechtfertigen und ihm Legitimität verschaffen.
Welche zum Beispiel?
Zum Beispiel die vorletzte Szene, wo Airan mit der karikaturhaften Maske eines Arabers die Österreicherin Alexandra in die Luft sprengt. Dann wendet er sich dem Publikum und wirft ihm die zerstückelten Organe (Hände, Füße und Augen) zu. Danach kommt die nächste Szene, wo der letzte Krieg beginnt und wir kämpfen gegen einander. Für ihn war das eine karikaturhafte Szene, welche die rassistischen Ansichten der Israelis gegenüber den Arabern zeigt. Ich akzeptierte diese Szene nicht, weil eine Karikatur meistens etwas bestimmtes zeigen will, das man nicht sagt oder sieht. Die Szene symbolisiert den Araber, der sich und die Europäerin (Demokratie, westliches Weltbild) tötet. Das rassistische Bild ist schon vorhanden und braucht keine Karikatur. Die Szene bestärkt nur diese Ansicht und soll als der Grund des letzten Krieges gelten, das heißt die israelische Aggression rechtfertigen. Ich sagte Airan, dass ich diese Szene nicht akzeptiere und dass wir gemeinsam eine bessere ausarbeiten können. Er lehnte aber ab und insistierte auf diese Szene. So verließ ich das Stück aus Protest und beschloss, in die Heimat zurückzukehren.
Waren Ihnen vorher die Widersprüche nicht sichtbar?
Nicht ganz. Die Arbeit war hart und wir hatten mehrere Debatten. Wir konnten aber immer eine Lösung finden. Durch diese Szene verliert aber die Arbeit ihr Wert. Man kann ein ganzes Stück über das palästinensische Leiden machen, und dieses ganz am Ende mit einem Wort zunichte machen. Das tat Airan in der vorletzten Szene (vor dem letzten Krieg), wobei diese Szene “den letzten Krieg” und alle israelische Verbrechen gegen die Palästinenser rechtfertigt. Ich als Mensch und als Palästinenser kann kein Verbrechen gegen irgendein Volk rechtfertigen.
Aber die Herausforderung war von Anfang an da.
Ja. Mein Fehler war, dass ich beim Beginn seine politische Meinung nicht kannte und auch nicht versuchte, ihm meine politische Meinung zu veranschaulichen. Für mich war das eine rein künstlerische Arbeit. Dadurch fehlte etwas bei dieser Arbeit. Täten wir beide dies von Anfang an, so hätten wir eine andere Arbeitsmethode gefunden und einen anderen Konzept ausarbeiten können, um beide Ansichten darzustellen und dem Publikum das Urteil zu überlassen.
Ich will aber hier betonen, dass ich mit Airan als Mensch kein Problem habe. Ich weiß eine menschliche Beziehung vom politischen Konflikt zu trennen. Letztendlich ist Airan selbst nicht der Besatzer, denn Airan hat nicht in der israelischen Armee gedient.
Werden sie jetzt Konsequenzen ziehen, was Arbeit mit israelischen Künstlern betrifft?
Ich habe aus dieser Erfahrung gelernt, das man vom Anfang an gegenseitig die Karten aufdecken soll. Ich mag Offenheit und Klarheit und bin nach wie vor für Zusammenarbeit.
Aber zwingt eine Zusammenarbeit mit Israelis einen nicht zu Kompromissen?
Um mit Israelis, sei sie rechte oder linke, zusammenarbeiten zu können, ist man zu Kompromissen gezwungen. Aber sie auch müssen Kompromisse eingehen. Aber als Opfer kann man auf viele Dinge nicht bloß für Kompromisse ihrerseits verzichten, die nur als Gewissensbetäubung gelten.
Würden Sie nach ihrer Rückkehr eher mit Arabern oder mit Israelis zusammenarbeiten?
Meine Idee ist, gemeinsam mit arabischen Künstlern eine Theatergruppe als arabisches Theater zu gründen, und nachher studieren wir die Möglichkeiten von Zusammenarbeit mit israelischen Künstlern. Trotz aller finanziellen und praktischen Schwierigkeiten sehe ich dies als eine Notwendigkeit, um als gleichberechtigte und gleichgestellte Partner mit Israelis gemeinsame Arbeiten zu gestalten, die zu Koexistenz, Gleichberechtigung und Menschenrechte im Lande aufrufen.
Ich lebe mit Israelis und sie leben mit mir. Aber sie müssen verstehen, dass sie sind diejenigen, die in meinem Land leben und nicht ich, der in ihrem Land lebt. Das ist mein Motto. Ich habe keine Identitätskrise, denn ich bin dort geboren, wie auch mein Vater und Großvater. Das Hauptproblem ist, dass sie die Infrastruktur besitzen. Da das Theater und die Arbeit in ihren Händen sind, heißt das, ich arbeite bei ihnen, aber ich lebe nicht bei ihnen. Ich lebe bei mir. Ich will dort in Frieden leben und will keinen vertreiben, will aber nicht als Fremder im eigenen Land behandelt werden. Ich erinnere mich an einen Satz von meinem Vater: “Ich kenne deine Sprache, daher gibt es für dich einen Platz in meinem Herzen. Du kennst meine Sprache nicht, daher habe ich keinen Platz in deinem Herzen”. Das fasst unser Problem mit den israelischen Künstlern zusammen.
Was bedeutet für Sie Ihr Vater, Mohammad Bakri, als Künstler?
Ich bin stolz auf ihn als Vater vor allem. Meiner Meinung nach ist er international einer der größten Schauspieler. Für mich war er der erste Lehrer und Wegweiser und der erste Patriot. Ob ich in meiner Entscheidung, ein Schauspieler zu werden, von ihm beeinflusst wurde, meine Antwort wäre… Vielleicht!
Sind auch gemeinsame Arbeiten mit ihrem Vater, Mohammaed Bakri, in Aussicht?
Wir werden am Lorcas Stück “Bluthochzeit” arbeiten, wo ich die Rolle von Leonardo spielen werde.
Haben die Werke und Erfahrungen von Mohammed Bakri einen Einfluss auf Sie gehabt?
Natürlich war ich von ihm beeinflusst. Außerdem habe ich seit meiner Kindheit den Drang gehabt, etwas zu sagen, oder besser zu schreien, was meine Willen und Gefühle ausdrückt und meine Existenz bestätigt. Ich fand das Theater als das geeigneteste Ort dafür.
Ihr Vater hatte auch bittere Erfahrungen mit israelischen Regisseuren gemacht. Gibt es hier Parallelitäten zu Ihren Erfahrungen?
Ja. Ich bin damit konfrontiert, womit mein Vater vor 25 Jahren als Schauspieler konfrontiert war. Die Tragödie der palästinensischen Künstler in Israel ist, dass sie palästinensische Künstler und nicht einfach Künstler sein müssen. Sie könne nicht einfach Shakespeare spielen, denn Lage, in der wir sind, erlaubt uns dies nicht. Mein Vater sagte einmal: “Ich habe das Privileg nicht, ein Schauspieler zu sein”.
Ich verlange von niemanden, mich für diese Tragödie zu entschädigen. Ich will nur die Möglichkeit haben, mit selbst entschädigen zu können. Ich will zuerst ein Mensch sein, und erst danach ein Palästinenser. Ich will zuerst ein Schauspieler sein, und erst danach ein palästinensischer Schauspieler.

Das Gespräch führte Ali Nasser,ein palästinensischer Aktivist in Wien

Saleh Bakri
Der Sohn von Mohammad Bakri, dem bekannten palästinensisch-israelischen Schauspieler, ist im Jahr 1977 in Jafa Geboren und ist im Dorf Biina in Nordpalästina (im heutigen Israel) aufgewachsen.
Nach seinem Schulabschluss im Jahr 1995 an der “Arabischen Orthodoxen Schule” in Haifa, begann er mit seine Schuspielausbildung an der Schule “Bet Tsvi” in Ramat Gan, einem Vorort von Tel Aviv, das er im Jahr 2000 abschloss.
Sein erstes Theaterauftritt war im hebräischen Theaterstück von Mohammad Bakri “Samir und Jonathan auf dem Mars”. Er galt als der einzige arabische Schauspieler im Habima-Theater. Nach zwei weiteren Theaterstücken verbrachte er ein Jahr in Avignon (Frankreich), wo er weitere Theaterkurse absolvierte.

Airan Berg
ist 1961 in Tel Aviv geboren. 1972 verließ er Israel und besuchte die International High School in Wien. Er setzte sein Studium in den USA fort und arbeitete am Broadway und kehrte nach seinem Studienabschluss nach Europa zurück, Arbeitete bei den Salzburger Festspielen, am Burgtheater, Schillertheater Berlin und studierte in Ostasien außereuropäische Theaterformen. Gemeinsam mit Martina Winkel gründete er “Theater ohne Grenzen”.

Topic
Archive