Veranstaltung mit der Knessetabgeordneten Hanin Zoabi am 03.05.19, dem internationalen Tag der Pressefreiheit, in Stuttgart

06.05.2019
Von Palästinakomitee Stuttgart e. V.
Bericht

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Attia Rajab vom Palästinakomitee  Stuttgart sowie die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linken und damalige menschenrechtspolitisch Sprecherin begrüßten die mehr als 80 BesucherInnen. Das Spektrum der ZuhörerInnen war vielfältig. Es reichte von PalästinenserInnen, Engagierten aus der Friedensbewegung und anderen Initiativen bis zu Mitgliedern der Initiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber, der wir es verdanken, dass das Gebäude der ehemaligen Gestapozentrale in Stuttgart heute der Erinnerung an die Nazi-Verbrechen dient, die dort verübt wurden. Tim Slater hat Vortrag und Diskussionsbeiträge von Hanin Zoabi aus dem Englischen übersetzt und Annette Groth moderierte die Veranstaltung.

 

Hanin Zoabi dankte dem Publikum und den Veranstaltern nicht nur für das Interesse an der Situation der PalästinenserInnen und der  Solidarität mit ihnen. Sie betonte gleichzeitig, dass dies auch den Einsatz für die demokratischen Werte europäischer Staaten bedeute.  Hanin Zoabis Arbeit in der Knesset sowie die Politik ihrer Partei Balad (Nationale demokratische Allianz) verfolgt vor allem das Ziel der Gleichstellung und der Demokratie für alle Bürger des Staates.  Die Balad-PolitikerInnen stellen sich damit gegen die ethnozentristische-nationalistische Politik, die die israelischen Regierungen verfolgen und die den Grundsätzen ultrarechter Parteien in Europa gleicht.

 

Die PalästinenserInnen mit israelischem Pass unterliegen  inzwischen 85 rassistischen, diskriminierenden  Gesetzen mit weitreichenden Konsequenzen. Die Gesetze betreffen unter anderem den Landbesitz, den Häuserbau,  die Bildung sowie die Erinnerung an die Nakba - die Vertreibung der PalästinenserInnen und die Auseinandersetzung mit der Geschichte der PalästinenserInnen. 

 

"Lassen Sie sich nicht von der zionistischen Lobby frustrieren und einschüchtern, sie sind nur so aggressiv, weil sie sich um das Image Israels sorgen, das bei genauem Hinschauen was Demokratie für alle bedeutet nicht (mehr) gut wegkommt", führte Hanin Zoabi aus. „Wir sollten das israelische System analysieren;  die rechtlichen Gegebenheiten anschauen", stellte Hanin Zoabi auch mit Blick auf die Angriffe von Gruppen klar, die mit der israelischen Regierung zusammenarbeiten.
„Wir greifen nicht die Juden an, wir wehren uns gegen dieses System“. Wenn man den Iran, oder Saudiarabien kritisiere, sei man dann Moslem-feindlich?, fragte Zoabi. Wenn man die Politik Deutschlands kritisiert, würde keine/r auf die Idee kommen zu sagen man sei antideutsch. Zionisten aber wollten die Juden anders betrachtet sehen, aber das sei antisemitisch, führte sie aus. „

 

Hanin Zoabi gehört, wie sie im Vortrag berichtete, zu den PalästinenserInnen mit israelischem Pass, die ein Fünftel der israelischen Staatsbürger ausmachen. Sie sei aus einer der Familien, die 1948 nicht vertrieben wurde. Wenn man erklären wolle, ob Israel eine Demokratie sei, oder nicht, müsse  man sich den Status der Gruppe der 1,5 Mio. PalästinenserInnen mit israelischer Staatsbürgerschaft anschauen und ob die Werte der Gleichheit, der Rede- und Meinungsfreiheit auch für sie gelten würden.

„In den 50iger und 60iger Jahren waren wir damit beschäftigt zu überleben“. Es sei nicht darum gegangen zu kämpfen und die eigene Identität zu stärken. „Wir lebten unter Militärherrschaft“, erläuterte Hanin Zoabi  die Situation der im Land verbliebenen PalästinenserInnen nach der Staatsgründung Israels.

Doch das Ziel israelischer Politik war nie die Koexistenz mit ursprünglichen BewohnerInnen des Landes.   „Israel kam nach Palästina, nicht um zu kooperieren, sondern um uns zu ersetzen", machte Hanin Zoabi klar. Die Idee des zionistischen Projekts sei es, möglichst viel Land, mit so wenig wie möglich Palästinensern zu kontrollieren und sich als jüdischer Staat und als Demokratie darzustellen. Doch Demokratie und die Definition des Staates als Besitz einer einzigen Bevölkerungsgruppe ist ein Widerspruch in sich.  Der relativ kleinen nach der Vertreibung im Land verbliebenen Anzahl PalästinenserInnen (150 000) wurde die israelische Staatsbürgerschaft aufgezwungen.

 

„Unter dem Mandat der Briten wurden wir nicht als arabische Briten angesprochen“, aber die die nicht vertrieben wurden, hätten sich nun als israelische Araber definieren sollen, nicht als Palästinenser, führte Hanin Zoabi aus. Die Funktion dieser Staatsbürgerschaft ist die, uns zu „zähmen“, meinte sie. Es sei nicht darum gegangen ihnen einen Freundschaftsdienst zu erweisen, sondern darum, ihre Identität zu verändern. Sie hätten gedacht, dass sie sich so als Demokratie darstellen könnten, ein jüdischer und gleichzeitig demokratischer Staat zu sein. „Doch hier gibt es einen Widerspruch“, so Hanin Zoabi, denn es bedeute Privilegien für Juden, und Nachteile für alle, die nicht Juden sind – Privilegien auf Kosten der anderen. Aber Israel repräsentiere die Juden nicht.

Diesen Widerspruch nicht sichtbar werden zu lassen, wurde allerdings immer schwieriger,  vor allem auch seit  der Besatzung 1967.
Die Rechte im Staat Israel hätte gemerkt, dass sie politisch gewinnen würden und dass es möglich sei,  die Siedlungen als integrierten Teil Israels werden könnten. Doch gleichzeitig stelle die Übernahme der Westbank mit ihren palästinensischen BewohnerInnen das zionistische politische Establishment vor ein demographisches Problem. Der Widerspruch zwischen einem "jüdischen" und einem demokratischen Staat wird noch deutlicher sichtbar. Nach 1967 wurden noch weitere 20 diskriminierende, rassistische Gesetze erlassen.

Die Verdrängungspolitik wird ständig weitergeführt. Vor 1948 kontrollierte Israel 6% unseres Bodens, aber inzwischen seien es 98%, erklärt Hanin Zoabi.  Die Palästinenser machen 20% der Bevölkerung im israelischen Staatsgebiet aus, aber sie hätten nur Zugang zu 2% des Bodens. Seit 1948 hat  der Staat Israel rund 700 Städte und Siedlungen für jüdische Einwohner entwickelt – aber keine einzige Stadt und keine einzige Siedlung für die palästinensischen Bürger.
Über diese offensichtlichen Widersprüche müsse geredet werden.

 

Im Jahr 1995 wurde die Partei Balad gegründet und kam  in die Knesset. Es war klar, dass die Partei nicht in dem herrschenden widersprüchlichen Rahmen, des jüdischen und demokratischen Staates arbeiten konnte. Das Hauptziel war daher der demokratische Staat für alle seine Bürger.
Die Gründung von Balad war auch das Ergebnis der Entwicklung des Bewusstseins der PalästinenserInnen von 1948 als Teil der unterdrückten und vertriebenen ursprünglichen Bevölkerung. Balad geht es nicht um Knessetsitze oder Mehrheiten, in einer Situation der durch Gesetze extrem eingeschränkter parlamentarischer Möglichkeiten im Apartheidsystem, es geht hier um die Befreiung von kolonialer Herrschaft.

 

 "Man wollte uns verbieten, aber das höchste Gericht Israels entschied, es gäbe keinen Widerspruch, denn Israel sei ja  bereits ein Staat für alle seine Bürger. Bei jeder Wahl sollten wir diskreditiert werden. Jedes Mal gingen wir vor das Gericht. Da man einen internationalen Skandal verhindern wollte, ließ man uns zu und erklärte einfach es gäbe doch gar keinen Widerspruch", beschrieb Hanin Zoabi die Erfahrungen der Balad-Politiker mit der Arbeit in der Knesset. Balad ist mit dieser grundlegenden Zielsetzung auch eine wichtige Partei für jüdisch-israelische Staatsbürger geworden, die nicht zionistisch denken. Auf der Balad-Liste in den Knessetwahlen kandidierten auch 6 jüdische Politiker.

 

"Wir als Palästinenser, die wir Gleichheit und wahre Demokratie einfordern machen damit einen historischen Kompromiss. Wir sagen nicht, dass die jüdische Bevölkerung das Land verlassen muss, wir fordern aber  Gleichberechtigung", erläutert sie weiter.

 

Das Problem in der Knesset sei, dass sich die Palästinenser als Araber Israels definieren sollten und den Staat als ausschließlich jüdischen Staat akzeptieren sollen. Sich als PalästinenserIn zu verstehen, werde als nicht loyal betrachtet.  Seit Mitte der 80iger Jahre, mit dem wachsenden Widerstand der PalästinenserInnen gegen die Unterdrückung wurden neue Loyalitätsgesetze erlassen. Die Gründer einer neuen Partei müssen den Staat als jüdischen akzeptieren.
Wie stark die Forderung nach einem demokratischen Staat für alle seine Bürger gefürchtet werde, verdeutliche die Tatsache, dass Balad als strategische Bedrohung betrachtet und seit dem Jahr 2008 vom Chef des israelischen Geheimdienstes dabei mit dem Iran und der Hisbollah auf die gleiche Stufe gestellt werde.

 

Im Juli 2018 verabschiedete Israel ein neues Basisgesetz, das besagt, dass Israel der Staat des jüdischen Volkes sei, dass die hebräische Sprache die Landessprache sei und die arabische Sprache einen speziellen Status erhalten würde, womit das Arabische heruntergestuft wurde. Es gäbe kein einziges Wort in diesem Gesetz, das von Gleichheit und Demokratie spricht. Das Gesetz erwähnt die PalästinenserInnen nicht einmal. Unter anderem ist es jetzt auch ganz offiziell möglich, im Etat Finanzmittel für rein jüdische Siedlungen bereit zu stellen.
Damit ist Israel der einzige Staat überhaupt, zu dem auch Personen gehören, die überhaupt keine Bürger sind (Jüdinnen und Juden in aller Welt).
Balad und die anderen Parteien der Vereinigten Liste arabischer Parteien brachten im Gegenzug ein Gesetz ein, das einen Staat für alle seine Bürger mit gleichen Rechten einforderte. Dieser Gesetzentwurf wurde jedoch noch nicht einmal zur Diskussion in der Knesset zugelassen.

 

Hanin Zoabi nannte noch weitere Beispiele für die Diskriminierung. Vor kurzem hat eine palästinensische Regisseurin bei einem deutschen Filmfestival einen Preis gewonnen. Als sie ihren Film als palästinensische Arbeit bezeichnete, forderte das israelische Kulturministerium sofort die Fördergelder zurück. Palästinensische Bürger mit israelischem Pass erhalten so gut wie keine Baugenehmigungen, darum seien sie gezwungen ohne Erlaubnis zu bauen. Für die Verletzung von Baugesetzen können jedoch Gefängnisstrafen verhängt werden und die Häuser abgerissen werden. In der Schule und der Universität wird die Geschichte der Palästinenser nicht gelehrt.  Ein weiteres Beispiel für die Diskriminierung ist ein Gesetz, das es Gemeinden erlaubt, Menschen auszuschließen, sich dort niederzulassen, wenn sie einem die Gemeinde leitenden Komitee nicht passen – im Effekt richtet sich dieses Gesetz vor allem gegen PalästinenserInnen mit israelischem Pass. 

 

In der anschließenden sehr lebhaften Diskussion wurden noch zahlreiche grundlegende Fragen und die Ergebnisse der Knessetwahl 2019 angesprochen.

 

 

 

 

 

 

Verweise